Eine Stadt für Engel?

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kainundabel Avatar

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Wenn es sie gäbe, würden die himmlischen Wesen bestimmt nicht ihren Platz mit dem aufgeblähten Monstrum Los Angeles tauschen. Obwohl einige der Romanfiguren froh sein dürften, wenn sie Engel an ihrer Seite hätten.

Um es gleich vorweg zu nehmen: Das Buch ist eine Wucht! In einem grandiosen Mosaik gelingt es James Frey, das Bild einer Stadt in all ihren Facetten zu zeichnen. Die gesamte Bandbreite der möglichen Protagonisten hat ihren Auftritt: die Reichen und Schönen, die Hässlichen, Zu-kurz-Gekommenen, die Gescheiterten, die in Toiletten und in den Elendsvierteln am Ende der Promenade hausen - alle in der Hoffnung, doch auch etwas vom Glück des Lebens abzubekommen. Als Leser nimmt man intensiv Anteil an ihrer Biografie. Viele tauchen aber auch nur schlaglichtartig auf, versinken wieder, spielen für den Fortgang der Handlung keine Rolle. Als eigentliche Handlung kann man ohnehin nur die Episoden mit den Hauptfiguren bezeichnen. Dennoch ist keine Person überflüssig, sie alle tragen mit dazu bei, das "Gemälde" Los Angeles zu zeichnen.

James Frey leitet die einzelnen Kapitel immer mit kurzen historischen Fakten ein, eine raffinierte Komposition. Sein Schreibstil und seine Wortwahl sind ungewöhnlich und faszinierend. Er trifft immer den richtigen Ton, um die jeweilige Atmosphäre einzufangen: einerseits rau, schroff, schonungslos, andererseits liebevoll, sensibel, subtil. Die fehlenden Zeichen der wörtlichen Rede sind nur anfangs gewöhnungsbedürftig, später empfindet man es als ausgesprochen wohltuend. Wortwiederholungen sind punktgenau gesetzt und tragen zur sprachlichen und atmosphärischen Dichte das Ihre bei. Wer noch zweifelt, ob er dieses grandiose Buch lesen will, sollte die Seiten 131-141 vorab lesen! Und wer die Absicht hat, Los Angeles persönlich kennenzulernen, sollte neben dem wohl unvermeidlichen gängigen Reiseführer unbedingt "Strahlend schöner Morgen" vor seinem Trip lesen. Ich neige nicht zu Überschwänglichkeiten, aber dieses Buch ist eines der besten, das ich als (Viel-) Leser je gelesen habe.