Fluchtpunkt für Exzentriker, Aufsteiger und Rampenlichtmotten

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Das Baby Esperanza wurde nur wenige Meter hinter der Grenze zwischen Mexico und den USA geboren. Esperanzas Eltern kamen damals illegal über die Grenze nach Kalifornien. Graciellas und Jorges Traum von einem besseren Leben erfüllt sich für Esperanza schon am Tag ihrer Geburt – sie ist Amerikanerin. Die Eltern des kleinen Mädchens arbeiten fleißig und beherbergen schon bald illegal eingereiste Verwandte, die in den USA Arbeit und bescheidenen Wohlstand suchen. Esperanza ist eine gute Schülerin, die auf dem harten Weg zum College und zur Universität feststellen wird, dass du in den Vereinigten Staaten nicht nur klug und zuverlässig sein musst, um Erfolg zu haben. Ohne eine weiße, protestantische Familie im Rücken, die deine Pläne unterstützt, genügt es nicht, stark zu sein und das Leben in die eigene Hand zu nehmen."\>Dylan und Maddie sind 19 und leben mitten in der amerikanische Provinz. Seit die beiden sich mit elf Jahren zum ersten mal geküsst haben, hat Dylan Geld für ihre Hochzeit gespart. Als Maddie von ihrer Mutter misshandelt wird, packt Dylan seine mühsam gesparten 2100 $ ein und haut mit Maddy Richtung Kalifornien ab. Von nun an gibt es kein Zurück mehr - die beiden brauchen Arbeit und eine Wohnung. Der Boss an Dylans erster Arbeitsstelle gerät bald unter die Räder seiner krummen Geschäfte. Dylan und Maddie verschwinden – Sie sind jung, sie lassen alles hinter sich – eine Geschichte wie ein modernes Märchen. Doch nur zu bald zeigt sich, dass Menschen wie Dylan und Maddie in Kalifornien kaum auf einen grünen Zweig kommen können, selbst wenn sie den ganzen Tag arbeiten."\>Old Man Joe schläft nachts in der Toilette einer Imbissbude am Venice Beach. Jeden Morgen wäscht Joe sich und verlässt "seine Toilette" mit  Sack und Pack, um am Strand das Geld für seinen Lebensunterhalt zu erbetteln. Als ein 15-jähriges Mädchen schwer verletzt am Strand gefunden wird, kämpft Jo mit allen Mitteln um seinen Traum, Beatrice vor einer Drogenkarriere zu retten."\>Amberton Parker und seine Frau Casey führen zum Schein eine nach außen perfekte Schauspieler-Ehe mit Kindern. Ständig von Paparazzi verfolgt, liefern die beiden der Öffentlichkeit eine ausgefeilte, von Medienberatern entwickelte Inszenierung des amerikanischen Traums. In Ambertons und Caseys Welt gibt es Küsschen links, Küsschen recht, während man hofft, der Geküsste würde gleich vom Blitz erschlagen. Amberton wählt das Auto für den Tag wie andere die Krawatte fürs Büro. Die beiden B-Movie-Stars demonstrieren geradezu obszönen Reichtum. Sie verprassen zu fünft für ihren Lebensunterhalt Beträge, von denen alle Einwohner einer durchschnittlichen Kleinstadt bequem leben könnten. Amberton hat alles erreicht, von dem andere träumen, und wird doch nicht bekommen, was er sich am meisten wünscht."\>James Frey lässt in "Strahlend schöner Morgen" eine unglaubliche Anzahl von Personen auftreten. Die Menge der Figuren und die Intensität, mit der Frey sie beschreibt, erschlägt einen beim Lesen förmlich. Einige Personen sind einem sehr nahe, so dass man um ihr Schicksal bangt und den Moment herbei fiebert, an dem sich ihre Wege kreuzen könnten. Manchen trifft man nur ein einziges Mal, einige bleiben namenlos, stehen für andere Namenlose, die ihren persönlichen Traum in Los Angeles verwirklichen wollen. Von anderen weiß der Leser zu seinem Schrecken nicht, ob er die Figur hassen oder bemitleiden soll. Eingeschoben sind kurze, sachlich Abschnitte zur Stadtgeschichte von Los Angeles, die uns die rasante Entwicklung einer Region nachvollziehen lassen, die inzwischen rund 18 Millionen Einwohner hat. Freys Sinn für Sarkasmus zeigt sich, wenn er in seinen Listen der Fakten augenzwinkernd zwischen lustigen und nicht lustigen Daten unterscheidet. ("Als 1976 die Krankhausärzte streikten, sank in dieser Zeit die Sterberate um 20%"). Frey führt uns von den frei gelassenen Sklaven afrikanischer Herkunft, die zuerst 1781 an der Pazifik-Küste siedelten, zu Chinesen, Japanern und Iren, deren Stadtteile sich inzwischen zur größten Population außerhalb ihrer Heimatländer entwickelt haben. Amerikaner mit dem Traum von einem Stellplatz für einen einfachen Trailer leben hier in Sichtweite der Villen der Superreichen. Frey zeigt uns LA überaus nüchtern als Welthauptstadt des Films und der Porno-Industrie, als Fluchtpunkt für Exzentriker, Aufsteiger, Mitläufer, Rampenlichtmotten und Models. Die Menschen kommen nach LA auf der Suche nach Arbeit, ärztlicher Behandlung, Bildung, Urlaub oder Unterhaltung. Sie sind Emigranten, Flüchtlinge, Urlauber. Kids, die Samantha und Kevin heißen, verkörpern in ihren Namen die Träume ihrer Eltern - sie heißen so, wie sie einmal sein sollen. Mit Dan, einem Anwalt für Menschenrechte, der aus taktischen Gründen eine Affäre mit der Frau eines Kongress-Abgeordneten beginnt, taucht einer der komplizierteren Charaktere Freys auf, einer dem es um mehr geht als um Arbeit und eine bescheiden eigene Wohnung. In den Einschüben zur Stadtgeschichte verdeutlichen nun zunehmend harte Fakten die Konflikte der Gegenwart: Kriminalität, Bandenkriege, Wasserknappheit, Verkehrsinfarkt, Aufstände, Drogenhandel, Straßenkinder und ganz aktuell die Bedrohung durch Terroranschläge. Erdbeben, Feuer, Waldbrände - kann Los Angeles als Welthauptstadt der Naturkatastrophen überhaupt weiter existieren, fragt sich der Autor. Mit Dylans und Maddies Schicksal stellt Frey den amerikanischen Tellerwäscher-Mythos in Frage: jeder kann es schaffen – wirklich jeder?"\>Lisa See hat mit ihrer Sozialgeschichte der chinesischen Einwanderer in Los Angeles (Auf dem goldenen Berg ISBN 978-3426626412) gezeigt, wie sich Schicksale Einzelner fesselnd mit der Geschichte der Stadt Los Angeles verknüpfen lassen. James Frey ist mit "Strahlend schöner Morgen" ein üppiger, außergewöhnlich berührender Los-Angeles-Roman gelungen, den ich von der ersten bis zur letzten Zeile verschlungen habe.