Gewalt, Drogen und Prostitution

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Ein Baby stirbt in seinem Kinderwagen. Die Gänsehaut, die sich bereits auf der ersten Seite mit dieser Szene ausbreitet, wird den Leser nicht mehr verlassen, während er Jonas Bengtsson auf den Spuren Nicks und seines ältern Bruders folgt. Nick hat eine Gefängnisstrafe für das brutale Zusammenschlagen eines Mannes abgesessen. Er hält seine Tat, an die er sich angeblich nicht mehr erinnern kann, für ein "gutes, anständiges Verbrechen". Der noch nicht einmal Dreißigjährige wohnt nach seiner Haftentlassung in einer billigen Pension, trainiert regelmäßig in Kamals Fitness-Center. "Ich wohne schon so lange hier, dass ich keinen Schatten werfe", sagt Nick. Kamals Kunden, Gewichtheber, die ihren Körper mit Steroiden ruiniert haben, und die Jugendlichen von der Straße achten Nick wegen seiner Gefängnisstrafe. An die Gefängnisroutine hat sich Nick als ehemaliges Heimkind angepasst, vermutlich nicht so problemlos, wie er vorgibt; denn er wurde mehrmals zu verschärften Haftbedingungen verurteilt. "Meine Sachen werden nicht besser, wenn man darüber redet," stellt Nick lapidar fest. Diese Sachen, über die Nick nicht redet, sind aggressive, Menschen verachtende Gedanken in seinem Kopf. Für Nick ist das brutale Zusammenschlagen anderer die Normalität. Seine Wut auf alle und jeden tickt in Nick wie eine Zeitbombe. Er hält sich nur mühsam unter Kontrolle. Nicks aggressives Training im Fitness-Studio, bei dem er nicht davor zurück schreckt, sich selbst zu verletzen, mag ihm helfen, seine Aggressionen zu zügeln. Vor seiner Haft lebte Nick mit Ana zusammen, die mit ihrem Bruder Ivan und ihrer Mutter als Kriegsflüchtling aus Ex-Jugoslawien nach Dänemark gekommen war. Neben seinen öden Wegen zwischen Wohnheim, Waschsalon und Training kümmert der Ex-Häftling sich nun um Ivan; und er tut das auf seine spezielle Art, die einen beim Lesen zunehmend frösteln lässt.

Seit Nicks Bruder Frau und Kind hat, war Nicks Kontakt zu dem drogenabhängigen Paar abgerissen. Nach dem Tod seiner Frau ist Nicks Bruder allein erziehender Vater des fünfjährigen Martin. Der Ex-Junkie fixt längst wieder und setzt alles daran, die äußere Fassade zu wahren, damit er das Sorgerecht für sein Kind behalten kann. Der Ich-Erzähler dieses Kapitels scheint alles für sein Kind zu tun und dennoch wirkt er so, als spiele er nur eine Rolle. Eltern sagen Schatz zu ihrem Kind und so nennt auch er seinen Jungen Schatz. Er weiß, was Erzieherinnen und Psychologen von einem Vater erwarten. Die Anforderungen der modernen Gesellschaft an Elternliebe erfüllt der junge Vater rein formal, wirkt dabei beziehungslos. Allein Bengtssons Leser fürchten um den kleinen Jungen und bezweifeln, ob ein Junkie in der Lage ist, sein Kind zu versorgen.

Die Brüder haben sich zum letzten Mal zur Beerdigung ihrer Mutter getroffen. Die Erinnerungen von Nicks Bruder wandern zurück zu der Szene, als eine fremde Frau ihn aus dem Heim holte und behauptete, seine Mutter zu sein. Von einem Tag auf den anderen hatte er einen Bruder, der größer und stärker war und ihn brutal unterwarf. Das Abgleiten des Mannes in die Beschaffungskriminalität und seine Kindheits-Erinnerungen ziehen uns in eine deprimierende Spirale aus Gewalt, Vernachlässigung und Sprachlosigkeit. Beide Männer kümmern sich um einen Jungen, jemanden, für den sie sich verantwortlich fühlen. Nick um Ivan, sein Bruder um den kleinen Martin. Für beide ist diese Aufgabe offenbar der einzige Halt in einem sinn- und ziellosen Leben. Jeder der Brüder passt sich auf seine Art Regeln an, deren Sinn ihm völlig fremd ist. Die beiden Männer könnten ebenso gut Einwanderer aus einem fremden Land sein, die sich nur mühsam in Dänemark zurecht finden.  Erst auf den letzten Seiten des Buches lassen sich endlich die einzelnen Fäden der Handlung verknüpfen, erst jetzt bekommen die Szene mit dem toten Baby und der bewachte Ausgang eines Gefangenen im ersten Kapitel einen Sinn. Nun erschließt sich auch die Wahl des Buchtitels: Submarino ist eine Foltermethode, ein Ausdruck aus dem Krieg und aus dem Knast.

Bengtssons knallharte, extrem knappe Sätze könnten nicht besser zu seinen Figuren und ihrer Existenz am Rande der Gesellschaft passen. Ein brutales Buch, mit dem der Autor an Tabus rührt, um diesen Menschen ein Gesicht zu geben.