Swing Time

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Es gibt Autorinnen/Autoren die stets das gleiche Buch schreiben, stets zum gleichen Sujet greifen, denselben Ton wahren. Das ist in seltenen Fällen (ich denke da zum Beispiel an Patrick Modiano) spannend und beglückend, viel öfter aber ein Zeichen mangelnder Kreativität oder künstlerischer Fähigkeit. Die britische Autorin Zadie Smith hat auch ein Thema, das sie immer wieder umtreibt und zudem sind ihre Romane meist in dem Teil Londons verortet, aus dem sie selbst stammt, dem Nordwesten. Und doch schafft sie es, jedes Mal ein gänzlich neues Buch zu schaffen.
Schaut man sich die beiden letzten Romane an, das 2012 auf Deutsch erschienene London NW und das unlängst hier veröffentlichte Swing Time, so unterscheiden sich die verhandelten Themen gar nicht so sehr. In beiden geht es um eine Mädchenfreundschaft, in der Kinder aus recht verschiedenen Milieus entstammen, es geht um die Bedeutung von Herkunft, hier auch explizit der der Hautfarbe, die Wirkung der verschiedenen Stellschrauben, die durch Erziehung, Umfeld oder auch einfach durch Glück und Zufall an ein Leben angesetzt werden. Verhandelt wird in beiden auch die Möglichkeit oder auch Unmöglichkeit des Aufstiegs, gerade auch in den unterschiedlichen Ebenen der Mittelschicht, die Veränderungen in Stadt und Gesellschaft, die Auswirkungen der Globalisierung.
Und doch ist Swing Time doch so ein gänzlich anderes Buch als sein Vorgänger. War dieser sehr rasant und experimentell geschrieben, so kommt der neue Roman eher konventionell erzählt daher. Gab es dort eine Polyphonie der Stimmen, einen an James Joyce geschulten Bewusstseinsstrom, so haben wir hier eine Ich-Erzählerin, die aus einer Rahmenhandlung heraus ihre Geschichte rückblickend erzählt. Das ist nicht weniger kunstvoll und souverän gemacht, Zadie Smith versteht ihr Autorenhandwerk perfekt, verflicht unterschiedliche Zeitebenen gekonnt und abwechslungsreich, aber es ist deutlich „braver“ und zugänglicher. Das soll ausdrücklich kein negatives Urteil sein, siehe oben, ich bewundere solch Vielseitigkeit. „Wechselt die Musik, ändert sich der Tanz“. Dieses Sprichwort der Haussa ist das Motto des Buches. Um Tanz dreht es sich unter anderem. Es scheint mir aber auch perfekt zu seiner „Andersartigkeit“ zu passen.
Schon der Prolog zeigt, dass die Geschichte der bis zuletzt namenlosen Ich-Erzählerin und ihrer Freundin Tracey aber nicht einfach chronologisch heruntererzählt wird. Die junge Frau, sie muss altersmäßig so in den 30ern sein, ist nach ihrer „Schmach“, der fristlosen Entlassung aus den Diensten eines weltweit erfolgreichen Pop-Superstars, aus New York in ihre Heimatstadt London zurückgekehrt. Belagert von Journalisten schleicht sie sich aus ihrer „Übergangswohnung“ und streift ziellos durch die Straßen. Zufällig kommt sie an der Royal Festival Hall vorbei und geht spontan zu einer Veranstaltung. Drinnen läuft ein Filmausschnitt, der sie abrupt in ihre Kindheit versetzt. Fred Astaire tanzt in „Swing Time“ mit drei Schatten um die Wette. Es war einer der Filme, die sie sich als Kind zusammen mit ihrer Freundin Tracey wieder und wieder angeschaut hat, von einer Karriere als Tänzerin träumend, die Schranken durchbrechend, die ihnen als farbige Mädchen der unteren Mittelschicht immer wieder gesetzt wurden. Ginger Rogers und Fred Astaire ihre großen Idole. Aber auch Michael Jackson mit seinen neuesten Videoclips. Doch die Erzählerin kommt nicht nur ins Erinnern.
„Mir wurde eine Wahrheit offenbar: dass ich immer versucht hatte, mich an das Licht anderer anzuschließen, dass ich selbst nie ein Licht in mir gehabt hatte. Ich erlebte mich als eine Art Schatten.“
Eine bittere Erkenntnis. Aber eine weitere ereilt sie, als sie abends die Filmszene erneut in Internet anschaut, etwas, dass sie weder in der Vorstellung registrierte, noch aus den Kindheitserinnerungen memorierte: Fred Astaire tanzte mit „geschwärztem“ Gesicht eine Art Minstrel Show oder auch Blackface, in der Weiße schwarze Stereotypen darstellten. Was wie eine kleine Eingangsepisode erscheint, ist doch auch Bild für eines der großen Themen des Buchs, das der Hautfarbe und der damit zusammenhängenden Zugehörigkeit, die sich für die Mädchen besonders kompliziert darstellt, hat doch das eine (die Erzählerin) eine dunkelhäutige, aus Jamaika stammende Mutter und einen weißen Vater, die andere einen schwarzen Vater und eine weiße Mutter. Eine Tatsache, die sie zusammenschweißt. Aber ihre Freundschaft ist alles andere als unbelastet. Beide spiegeln sich immerfort ineinander, was die Autorin dadurch plastisch macht, dass sie einander genau gegenüber wohnen. Beide fühlen sie die Abgrenzung, die sie von den überwiegend weißen Mädchen in ihrer Schule trennt. Beide unterscheiden sich aber nicht nur in ihrem Talent für ihre große Liebe Tanz – Tracey hochbegabt und ehrgeizig, die Erzählerin voller Enthusiasmus, aber mit „Plattfüßen“ -, sondern auch durch ihr Elternhaus. Entstammen sie zwar in etwa der gleichen sozialen Schicht, ist doch die Mutter der Erzählerin sehr um Bildung und Erziehung bemüht, wird allmählich zur erfolgreichen Politikerin aufsteigen, der Vater ist Postbote und kümmert sich rührend um sein Tochter. Traceys Mutter ist zwar sehr fürsorglich, tendiert in ihrer Passivität und Vulgarität aber eindeutig zur Unterschicht, der Vater ist Kleinkrimineller, der die Familie verlassen hat und immer wieder im Gefängnis landet. Die beiden Mädchen sind als zwei sich gegenüberstehende Pole geschaffen. Das hat natürlich etwas Konstruiertes. Zadie Smith ist eine sehr engagierte, gesellschaftspolitisch sehr rührige Autorin. Auch hier geht es ihr um eine Aussage, benutzt sie die Handlung des Buches dazu, gesellschaftliche Verhältnisse darzustellen und sich dazu kluge Gedanken zu machen. Sie ist in all ihren Büchern eher eine Autorin der Vernunft als des Gefühls. Trotzdem lesen sich ihre Romane immer auch unterhaltsam und vor allem auch witzig. Es ist ein untergründiger, oft auch leicht bitterer Humor. Das ist bei Swing Time nicht anders.
Während Tracey trotz ihres Talents nur mittelmäßige Engagements ergattern kann, erhält die Erzählerin mit einer guten Portion Glück die Stellung einer Assistentin des Popstars Aimee, lernt die Welt der Superreichen kennen und jettet um die Welt. Dieser Handlungsstrang ist meiner Meinung nach der deutlich schwächste des Buches. Die Schilderungen sind zwar sicher gut recherchiert, aber oft zu plakativ. Madonna fungiert dabei zu deutlich als Vorbild, auch wenn Aimee aus Australien stammt. Eindringlicher wird es wieder, wenn die Erzählerin im Auftrag ihrer Chefin in Westafrika die Stiftung einer Mädchenschule überwachen soll. Den Zwiespalt den sie dort als „Weiße“ erfährt, lassen sie erneut über Zugehörigkeit nachdenken. Zudem bietet sich die Gelegenheit, die Probleme dieser Weltregion, besonders das der Abwanderung vornehmlich der jungen Männer, die nur noch Ausweglosigkeit in ihrer Heimat sehen, die Gefahr der Islamisierung und die allgegenwärtige Korruption anzusprechen – vielleicht versucht Zadie Smith ein wenig zu viele Themen anzusprechen. Meiner Meinung nach gelingt ihr das aber sehr gut und berührend, indem sie von dieser fernen afrikanischen Region ein genauso stimmiges Bild entwirft wie wir das von den Londoner Stadtteilen Kilburn und Willesden von der Autorin kennen. Diesmal spielt ein Teil der Handlung auch in Zadie Smith derzeitigem Wohnort New York.
Dass sich die Erzählerin in ihrem Gefühl „dazuzugehören“, Teil der Welt von Aimee, vielleicht sogar ihre Freundin zu sein, bitter getäuscht hat, eigene Familienpläne nie gemacht, das Verhältnis zu ihren Eltern vernachlässigt hat, merkt sie erst sehr spät, als sie nicht mehr in Aimees Konzept passt, ihren Unmut auf sich zieht, gnadenlos geschasst wird.
Swing Time ist vielleicht nicht Zadie Smiths bestes Buch, hin und wieder schleicht sich besonders im Mittelteil die eine oder andere Länge ein. Bei seiner Themenfülle, seinem klugen Aufbau, seinen wichtigen Gedanken und dem souveränen Schreibstil der Autorin ist das aber Kritik auf allerhöchstem Niveau.