Emotionsgeladen, 3,5 Pkt.

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Auf „The Hurting“ von Lucy Van Smit habe ich mich vor allem deshalb gefreut, weil es einfach mal etwas Anderes ist. Ein (Jugend-) Roman Noir, in dem die Protagonisten nicht eindeutig gut oder böse sind.

Die 15jährige Nell ist gerade erst mit ihrer krebskranken Schwester und ihrem alkoholabhängigen Vater nach Norwegen gezogen. Neue Umgebung, schwierige Verhältnisse. Die Mutter hat die Familie vor Jahren verlassen. Als Nell Lukas, den Jungen im Wolfsmantel trifft, ist sie beeindruckt und glücklich über seine Aufmerksamkeit. Sie verliebt sich unsterblich in Lukas, obwohl sie ihn kaum kennt. Und manövriert sich in eine gefährliche Lage.

Mehr soll gar nicht verraten werden. Der Klappentext spoilert nämlich leider einen großen Teil der Handlung, was eventuell zur Folge hat, dass man die ganze Zeit auf DIE Wendung wartet.

Obwohl ich wusste, wie in etwa sich alles entwickelt, konnte mich Lucy Van Smit schnell fesseln. Ihr Schreibstil ist interessant. Kurze Sätze, knackige Metaphern. Toll! Der Stilmix (Thriller, Drama, Lovestory, Coming-of-Age, Gothic Novel) fügt sich gut in die raue, nordische Kulisse ein. Alles wird so sinnlich beschrieben, dass man die salzige Meeresgischt schmecken und das Grün der Wälder sehen kann.

"The Hurting" ist eine moderne Variante von "Sturmhöhe". So gibt es einige Parallelen. Mehrfach wird der Roman auch explizit genannt. Findelkind Lukas wäre demnach Heathcliff. Ein leidenschaftlicher, destruktiver Charakter. Vor allem aber ein guter Manipulator. Damit ist er alles andere, als der übliche Young-Adult-Held, was ich erstmal spannend fand.

Nells Grundkonflikt hat mir gut gefallen. Sie muss sich entscheiden, wie weit sie bereit ist, für Lukas zu gehen. Anfangs folgt sie ihm fast blind, weshalb Nell vielen Rezensenten wohl zu naiv erschien. Ich konnte allerdings verstehen, dass sie sich Hals über Kopf verliebt. Ein gutaussehender Junge, erste Liebe, keine Anerkennung zuhause. Man darf auch nicht vergessen, dass man als Leser über die Perspektivwechsel recht früh ein Gespür für Schein und Sein bekommt, also sehr viel mehr über Lukas erfährt, als Nell.

An und für sich fand ich die Geschichte super. Nur stellenweise zu theatralisch, was man zwar auch von "Sturmhöhe" behaupten kann, im historischen Kontext aber leichter zu akzeptieren ist. Mir war die Darstellung einiger Dinge zu sehr over the top, beispielsweise Lukas‘ Wolfsbesessenheit, Nells Liebesschwüre oder auch die Hass-Liebe von Nell und ihrer Schwester. Gegen Ende kam es mir vor, als würde ich nur noch von einem Drama zum anderen schwanken.

Speziell aus Sicht junger Leser war ich mit der Botschaft aber sehr einverstanden. Nell muss schließlich eine alles verändernde Entscheidung treffen. Opfert sie für die Liebe ihre eigenen Überzeugungen?

Fazit: „The Hurting“ ist ein packender, eigenwilliger Jugendroman, ein Thriller, eine Liebes- und Coming-of-Age-Geschichte im rauen Norwegen. Auf die starken, wilden Emotionen und zerrissenen Charaktere, die bewusst an „Sturmhöhe/Wuthering Heights“ angelehnt sind, muss man sich einlassen können. Mir waren sie teilweise zu geschraubt. Den Mut, Protagonisten zu Papier zu bringen, die kantig sind und umstrittene Entscheidungen treffen, finde ich aber großartig. Jüngere Leser bekommen vielleicht Lust, Brontës Klassiker zu lesen.