Fäden

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern Leerer Stern
siebente Avatar

Von


Was macht ein gutes Buch aus? Diese Frage beschäftigt wahrscheinlich Millionen Menschen – erfolgreiche (und auch weniger erfolgreiche) Autoren, Verlage, Buchhändler und natürlich die Massen an Lesern, die sich immer wieder über und auf neuen, guten „Stoff“ freuen.
Die Romane des Autorenduos P.J. Tracy gehören für eine ganze Reihe von Lesern zu dieser Kategorie. Ich habe wiederholt Gutes von P.J. Tracy gehört und war dadurch und auch durch die Leseprobe gespannt auf den neuen Roman „Todesnähe“. Ob der meine Erwartungen erfüllt hat, dazu nun Stück für Stück mehr. „Todesnähe“ ist mein erster P.J. Tracy Roman – auch das sollte man beim Lesen meiner Rezension im Hinterkopf haben.


Inhaltsverzeichnis:
*********************
1. Die Autorinnen: P.J. Tracy
2. Ort und Zeit der Handlung
3. Die Hauptfiguren:
***a) Grace McBride
***b) Leo Magozzi
***c) Joe Hardy
***d) Claude Gerlock
4. Die Geschichte
5. Themen
***a) Terrorismus
***b) Soldatentrauma
***c) Aufeinandertreffen der Kulturen
6. Muss man die vorigen Teile kennen?
7. Zielgruppe
8. Daten zum Buch
9. Pro & Contra
10. Fazit


1. Die Autorinnen: P.J. Tracy
*********************************
Wer steckt hinter einem Buch. In den meisten Fällen ist eine Einzelperson, die ihre Romane entweder unter eigenem Namen oder einem Pseudonym veröffentlicht. P.J. Tracy ist P.J. Tracy mögen manche denken. Ein Mann? Eine Frau? Hm ... Es sind zwei Frauen, Mutter und Tochter, Patricia Jean Lambrecht und Traci TeAmo Lambrecht. Die Mutter, Patricia Jean, hatte zunächst alleine Kurzgeschichten geschrieben. 1991 begannen die beiden gemeinsam Drehbücher zu verfassen, 2003 brachten sie ihren ersten Roman als Duo auf den Markt, es war auch der erste Teil der so genannten Monkeewrench-Reihe. Mehrere Dinge waren dabei auffällig: Monkeewrench (deutscher Titel: Spiel unter Freunden) räumte gleich zwei Preise ab und wurde nur vier Monate nach dem Erscheinen auch auf Deutsch veröffentlicht. Teil 2, Der Köder, gelangte in der deutschen Version auf Platz acht der KrimiWelt Bestenlisten.


2. Ort und Zeit der Handlung
**********************************
Die Handlung beginnt vor der Küste vor Florida, eigentlicher Hauptspielort ist aber die US-Stadt Minneapolis. Zeit der Geschichte ist die Gegenwart. Ist muss nicht notwendigerweise das Veröffentlichungsjahr 2012 sein, es könnte auch eines der 2000er Jahre sein, aber auf jeden Fall eines nach dem 11. September 2001, als Amerika und die Welt eine andere Einstellung zum Thema Terrorismus gewannen.


3. Die Hauptfiguren
*************************
***a) Grace McBride
Eine starke Hauptfigur ist immer für mich ein ganz wesentlicher Punkt darin, ob mich eine Geschichte fesselt. Ich muss das Gefühl haben, dass ich gerne mehr über diese Hauptfigur/en erfahren möchte. Grace McBride hat für mich schon beim Vorablesen diesen Eindruck gemacht. Sie scheint eine vielschichtige Figur zu sein. Sie schippert mit dem deutlich älteren John Smith vor der Küste Floridas, um sich über sich und ihr Leben klarer zu werden.
Schnell wird deutlich: Grace scheint stark und schwach zugleich, scheint zupackend und auch verletzlich und grüblerisch. Das wirkt durchaus reizvoll.
Leser, die schon vorige P.J. Tracy Romane kennen, kennen auch Grace schon – als Mitglied der Software-Firma Monkeewrench, deren Mitarbeiter für Grace so etwas wie eine Familie sind.

***b) Leo Magozzi
Magozzi ist für mich ein eher farbloser Ermittler. Er ist gewissenhaft, er ist vielleicht auch ein wenig spießig in seiner Gartenarbeit, er vermisst Grace, er ist ein guter Detective, aber er erscheint mir auch langweilig. Schade.

***c) Joe Hardy
Eigentlich ist Joe Hardy keine echte Hauptfigur dieses Romans. Er ist aber – im Vergleich zum eher „grauen“ Magozzi eine für mich deutlich reizvollere Figur. Denn auch Joe hat Brüche: Er hat Bauchspeicheldrüsenkrebs im Endstadion. Der Tod steht quasi vor seiner Tür. Trotzdem wirkt er nicht mitleidserregend. Joe ist Ex-Soldat, will für das Gute einstehen. Doch tut er das wirklich. Mit letzten Kräften bringt er zwei Somalier um – und sorgt so dafür, dass die Ermittler vier verschleppte Indianermädchen entdecken. Und mit allerletzter Kraft stellt er sich zwei anderen Somaliern, wird von denen tödlich mit einer Pistolenkugel getroffen und erschießt seine beiden Angreifer. Damit macht er die Ermittler auf einen weiteren wichtigen Schauplatz aufmerksam. Dazu später mehr.

***d) Claude Gerlock
Was verbindet einen Weißen fast blutsbrüderhaft mit Indianern? Kriegseinsätze. Dadurch kennen sich Claude und der Chief – und auch Joe. Claude ist ein Texaner, groß, gutaussehend und etwas undurchsichtig.


4. Die Geschichte
*********************
Hier wären wir bei einem (nächsten) Problem. P.J. Tracy erzählen anfangs gleich mehrere Geschichten, zu viele für meinen Geschmack. Ich dampf daher schon mal zusammen.
Grace will den Kopf frei bekommen, sich über einiges klar werden. Spontan hat sie der Einladung des 20 Jahre älteren, pensionierten FBI Agenten John Smith angenommen und ist mit ihm zu einer Bootstour aufgebrochen. Und während sie sonst in ihrem Leben immer auf Habacht ist und immer eine Waffe zur Hand hat, beginnt sie sich auf dem Wasser langsam zu entspannen, die Hosen und Stiefel gegen Kleider zu tauschen und freier zu fühlen. Doch das nicht ganz zu recht.
Sie hört etwas auf dem Deck, zwei Männer greifen John an, wollen ihn mit einem Messer ermorden. Grace tötet die beiden, In ihren Taschen findet sie ein Foto von John. Wurden die beiden arabisch wirkenden Männer angeheuert, um John Smith zu töten? Die beiden versenken Handy, Computer und Leichen im Meer, eilen zurück an Land und gehen getrennte Wege. John Smith will sich verstecken, Grace mehr über den Anschlag heraus finden.
Doch sie sind nicht die einzigen auf der Flucht. Auch das Indianermädchen Aimee versucht zu entkommen. Sie wurde zusammen mit vier anderen indianischen Mädchen entführt. Zunächst scheint es, als würde sie die Männer, die sie verschleppt haben, hinter sich lassen. Doch dann wird sie im letzten Moment erschossen.
Auftritt Magozzi. Er soll mit Gino zusammen ermitteln. Die Polizei befragt die Anwohner im Umfeld, in Little Mogadischu, einem Viertel, in dem viele Somalier leben.
Joe Hardy hat Krebs, im Endstadion. Er wird sterben. Doch nicht nur er. Sein Freund und Arzt „erlässt“ Joe eine letzte Chemo, Joe schleppt sich nach draußen, betritt eine Veranda, ein Haus. Er zieht eine Waffe aus der Tasche, hat eine Plastikflasche als Schallschutz vor die Mündung gesetzt – und erschießt zwei Somalier.
Die Ermittler finden die beiden Toten – und finden in dem Haus die vier Mädchen, die verschleppt worden waren. Sie leben.
Joe Hardy merkt, dass ihm die Kräfte schwinden. Doch er will sich für das Gute einsetzen. Er schleppt sich erneut zu einem Haus, einem ganz bestimmten. Er weiß, was dort auf ihn wartet. Zwei Somalier verpassen Joe eine tödliche Kugel. Doch auch der Ex-Soldat ist bewaffnet, schießt, trifft die Männer ebenfalls tödlich. Eine ganz gezielte Aktion.
Wieder kommen Magozzi und sein Kollege Gino zum Einsatz. Sie betreten das Haus, vor dem die Toten gefunden, entdecken dort ein Waffenlager. Das Sprengstoffteam muss ausrücken, muss sicher stellen, dass keine scharfen Sprengsätze in dem Gebäude sind, in dem Magozzi auch ein Kalenderblatt entdeckt hat. Wie auf einem im anderen Haus ist der 31. Oktober markiert.
Grace schickt ihren Kollegen von Monkeewrench Unterlagen. Sie sollen mehr über die Männer herausfinden, die John Smith töten wollten. Und Grace bittet auch Magozzi um Hilfe.
Hängen all diese vielen Fäden zusammen? In dieser komprimierten Form scheinen die Puzzlesteine ihren Reiz zu haben, scheinen zu einer großen Geschichte zusammen zu fließen. Doch auf mich haben die ersten 100 Seiten sehr zerfasert gewirkt, mir waren es zu viele Fäden. Vielleicht lag es daran, dass ich Grace und Magozzi noch nicht aus früheren Romanen kannte, vielleicht aber auch tatsächlich an den zu vielen Einzelbausteinen ...


5. Themen
**************
***a) Terrorismus
Spätestens seit 9/11, wie die Amerikaner einen der besonders schlimmen Tage ihrer Geschichte nennen, ist Terrorismus ein großes Thema im Land der unbegrenzten Freiheit. Gibt es Gruppen, die weitere Anschläge planen? Handeln sie aus rein geschäftlichen Interesse? Oder steckt eine große andere Zielsetzung dahinter?
Bei dem, was in „Todesnähe“ präsentiert hat, kann man zunächst nicht sicher, sein, welche Form von Terrorismus im Spiel ist. Zumindest die Entdeckung des Waffenlagers deutet jedoch schon auf eine ernst zu nehmende Bedrohung hin – und keine reinen Bandenkriege oder sonstige „normale“ Kriminalität ...
Das Thema Terror ist eines, was in den vergangenen mehr als zehn Jahren immer wieder im öffentlichen Bewusstsein präsent war (und ist). Aber es ist trotzdem kein zu abgegriffenes – und somit ist es ein gutes Thema für einen Roman.

***b) Soldatentrauma
Nach dem Vietnamkrieg war dagegen die Frage von Traumata der Soldaten ein weit verbreitetes – auch in der Literatur. Die Gewalt, das Leid, was die Männer im Krieg erlebt hatten, überschattete auch zurück in der Heimat ihr Leben. Was wird aus Soldaten, wenn sie wieder im (amerikanischen) Alltag angekommen sind? Normale Bürger? Oft. Menschen mit Traumata? Immer wieder? Und? Manchmal hat das, was sie erlebt haben, auch Einfluss auf ihr weiteres Verhalten – zurück daheim. Im Fall von Joe Hardy (und seinen Freunden und Kriegskameraden) ist es der Wille, auch daheim für Gerechtigkeit zu sorgen. Auch zurück zuhause haben sie ihre Fähigkeiten als exzellente Schützen – und setzen sie ein. Einerseits ist das ein Stück weit „gerecht“, andererseits aber auch Selbstjustiz ... Ein schmaler Grad, interessant, aber schmal.

***c) Aufeinandertreffen der Kulturen
Und noch ein amerikanisches Thema, das Aufeinandertreffen der Kulturen. Die USA sind ein Schmelztiegel von Menschen unterschiedlichster Herkunft. Einerseits ist man darauf Stolz. Denn letztlich hat (fast) jeder Amerikaner Vorfahren aus Europa oder Afrika oder Asien oder Lateinamerika. Andererseits macht diese Vielfältigkeit das Leben mitunter auch schwerer. Die Herkunft wird zum Bindeglied, nicht für ein Miteinander mit anderen sondern eher für ein Miteinander mit den eigenen Leuten – in ungutem Sinne. Little Mogadischu in Minneapolis ist kein sicherer Stadtteil, es ist das Viertel der Somalier und ein Viertel, in dem zumindest in der Handlung von „Todesnähe“ gleich eine ganze Reihe von Verbrechen stattfinden. Da sind die von den Somaliern) verschleppten Indianermädchen. Da ist das Waffenlager, das keinem harmlosen Schützenverein gehört. Da sind die (von Joe Hardy) ermordeten Somalier.


6. Muss man die vorigen Teile kennen?
***************************************
Eine Romanreihe hat immer dann ihren Reiz, wenn man bekannte Charaktere wieder trifft und ihre Weiterentwicklung mitverfolgen kann. So geht es mir zumindest.
Bei manchen Riehen kommt man auch als „neuer“ Leser ganz gut ins Geschehen. Bei P.J. Tracy ist das – so mein persönliches Gefühl – nicht ganz der Fall. Gerade um Grace, ihre Kollegen von Monkeewrench und natürlich auch Leo Magozzi (und seinen Kollegen) besser zu verstehen, wäre es sicher hilfreich, zu wissen, was zuvor geschehen ist. Diese Vorkenntnis könnte auch helfen, um besser in die Geschichte von Todesnähe hinein zu finden und den schnellen Wechsel der vielen Handlungsfäden besser verkraften zu können.


7. Zielgruppe
****************
Todesnähe ist ein Roman für Krimifans. Die Nerven der Leser werden nicht zu stark beansprucht, die Grenze zum Thriller ist nicht überschritten. Todesnähe ist eine Geschichte für Leute, die sich für Amerika, für amerikanische Themen interessieren.
Todesnähe ist leider auch ein Roman insbesondere für Fans der P.J. Tracy Reihe. Wer schon andere Bücher der Serie kennt und gern gelesen hat, ist ganz klar im Vorteil.
Eine Differenzierung nach Alter oder Geschlecht würde ich dagegen nicht machen. Es gibt gleichermaßen männliche und weibliche Charaktere, so dass jeder Figuren finden kann, die ihn oder sie reizen.


8. Daten zum Buch
*********************
P.J. Tracy – Todesnähe, Übersetzerin Tanja Handels
 Broschiert: 352 Seiten
 Verlag: Rowohlt Polaris (1. September 2012)
 Sprache: Deutsch
 ISBN-10: 3862520315
 ISBN-13: 978-3862520312
Zwei Sachen habe ich noch hinzuzufügen: Die Ausgabe ist leider eine etwas größere Taschenbuchversion – mit einem doppelten Nachteil: Zum einen schlägt die größere Größe mit einem größeren Preis (14,95 Euro) zu Buche. Zum zweiten ist das etwas größere Taschenbuch auch unhandlicher für unterwegs. Ich kann nur an Rowohlt Polaris und andere Verlage appellieren, hier demnächst wieder umzudenken. In Zeiten, in denen die Menschen (Leser) ständig unterwegs sind, ist so ein großes Taschenbuch nichts, was bei uns Lesern Jubelstürme auslöst, eben weil es unhandlich ist und auch nicht schick genug, um auf jeden Fall einen festen Platz im Regal zu finden. Dabei hat sich der Verlag mit den metallisch schimmernden Buchstaben auf dem schwarzen Untergrund durchaus Mühe gegeben, das Buch optisch ansprechend zu gestalten.

Punkte zwei betrifft die Übersetzung. Hier hat Tanja Handels aus meiner Sicht eine gute Arbeit gemacht, die Geschichte wirkt flüssig, auch in der deutschen Fassung.


9. Pro & Contra
*******************
Pro
- interessante Figuren
- gute Themen

Contra
- anfangs zu viele Fäden
- Magozzi als Ermittler


10. Fazit
**********
Vorablesen hat mir schon einige neue Lieblingsautoren beschert, so Linda Castillio oder Oliver Pötzsch. P.J. Tracy dagegen hat zwar mit Todesnähe eine interessante Geschichte abgeliefert, sie hat mich aber nicht voll und ganz begeistert.
Der eine Hauptgrund dafür ist, dass ich fast 100 Seiten gebraucht habe, um mich mit der Geschichte anzufreunden. Eine der Hauptfiguren, Grace, hat mich zwar mit der spannenden Einstiegsszene direkt begeistert. Denn als Figur ist Grace plastisch, hat einiges durchgemacht, hat somit eine persönliche Geschichte, über die man gerne mehr erfahren will. Und auch die Eingangszene mit dem Überfall auf dem Boot hatte ihren Reiz. Doch danach gab es zu viele verschiedene weitere Charaktere und Handlungselemente. Und es gab weniger interessante Figuren, so reizt mich der zweite zentrale Charakter, Magozzi, kaum.
Doch im Laufe der Geschichte wird die Sache interessanter: Es gibt einige weitere reizvolle Figuren und vor allem gute Themen und die Fragen, wie sie miteinander verwoben sind. Aufgrund dieser doch recht gewichtigen Pluspunkte vergebe ich für die Todesnähe knappe vier Sterne und eine – eingeschränkte – Empfehlung.