Grobe Erzählung, die mich den Schliff missen ließ

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laberlili Avatar

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„Dann gerät Ida auch noch in Verdacht, ihre Konkurrentin kaltblütig ermordet zu haben. Während sie versucht, ihre Mitschüler von ihrer Unschuld zu überzeugen, wird plötzlich auch ihr eigenes Leben bedroht. Und die junge Tänzerin verstrickt sich immer tiefer in das Netz aus Lügen und Intrigen an der Akademie …“ -> so heißt es in der offiziellen Kurzbeschreibung zu Richmonds „Tödlicher Tanz“, die mich mit einem etwas verworrenen Komplott rechnen ließen, in welchem niemand jemand trauen würde. Tatsächlich ist bereits über die Hälfte der Geschichte vergangen, als kurzzeitig das Gerücht in den Raum geworfen wird, Ida könne Cynthia nicht nur tot aufgefunden, sondern auch ihren Tod herbeigeführt haben: Daraufhin empört sich Ida kurzerhand lautstark gegenüber ihrer Clique; hernach wird dieses Gerücht gar nicht weiter thematisiert und schon gar nicht versucht Ida, ihre Mitschüler von ihrer Unschuld zu überzeugen.
Die Kurzbeschreibung ist hier also irreführend, wobei ich es schade fand, dass die These, Ida könne die Mörderin sein, nicht weiter ausgeführt werden: Denn nicht nur, dass sie ihre Mitschülerin mit durchgeschnittener Kehle aufgefunden hat, nein, auch in ihrer Vergangenheit gab es bereits einen Toten, der an einer solchen Schnittwunde verblutet war. Eine Jugendliche, die mit zwei voneinander unabhängigen Todesfällen in Verbindung steht, die so erfolgt sind?! Ida wäre eine optimale Hauptverdächtige gewesen – oder auch ihre, dieselbe Ballettakademie besuchende eineiige Zwillingsschwester Mara, die zunächst immerhin die Einzige war, die über diesen Teil aus Idas Vergangenheit Bescheid wusste.

Auch Idas Begründungen, warum sie sich nach den enthaltenen Drohungen, die sie jetzt erhielt, nicht an die Polizei wenden wollte, die hier aber weiter gar nicht auftrat und die doch eigentlich mit der Aufklärung des Cynthia-Mordfalls betraut war, erschienen mir absolut fadenscheinig. Selbst als sie eine explizit terminierte Morddrohung erhielt, zog sie nichtmals einen ihrer Lehrer ins Vertrauen, sondern sah dem bevorstehenden Datum angst- und panikerfüllt mit einer „wird schon irgendwie schiefgehen“-Mentalität entgegen.
Hier kam auch die meiner Meinung nach auffälligste Schwäche der Handlung mehr als deutlich zum Vorschein: Ida macht sich die Welt, wie sie ihr gefällt bzw. vergibt ihr Vertrauen so, wie es ihr grade genehm ist. An einer Stelle hält sie selbst fest, dass Cynthias Mörder an der Akademie umgehen muss, von welchem sie annimmt, er sei auch für ihre Bedrohungslage verantwortlich, wofür auch diverse Hinweise sprechen. (Allerdings sind ihr, ehe sie Cynthia fand, einige Freundinnen Cynthias begegnet, ohne dass je erwähnt wird, diese seien ebenso verdächtig wie Ida oder könnten Cynthia gar gemeinschaftlich umgebracht haben: Es könnte also ohnehin mehrere Täter/innen geben und Idas Bedroher zudem nur ein Trittbrettfahrer sein. Wieso sich hier auf einen Einzeltäter versteift wurde, konnte ich absolut nicht nachvollziehen.) Ida erwähnt hier jedenfalls, dass sie prinzipiell keinem wirklich trauen kann: Sie tut es aber ständig. Ihre Schwester ist außen vor, ebenso wie ihre Zimmergenossin und auch der Freund, der sie „zu ihrem Schutz“ nun immer und überall begleiten möchte und der vorher schon eng mit Cynthia verbunden war, agiert außerhalb ihres „Verdächtigenfokus“ – mir war es unverständlich, wieso sie sich abseits aller Anderen zu Zweit mit ihm plötzlich sicher fühlte, obschon ihr klar sein sollte, dass doch jeder, also auch er, verdächtig war? Wieso hat sie nicht jegliche private Zweiersituation zu meiden versucht?

Ida wurde mir im Verlauf der Geschichte zunehmend unsympathischer: Sie wirkte mehr und mehr wie ein Stern, um den alle anderen kreisten, der sich selbst aber für nichts außerhalb des eigenen Zentrums zu interessieren schien. Ich fand sie sehr ichbezogen; ihre Clique wendete sich ihr ständig fürsorglich zu, aber sie behandelte ihre Freunde irgendwie eher wie Lakaien und die sonstigen Mitschüler eher als Zufallsbekanntschaften. Selbst als eine neue Mitschülerin in einer Außenseiterposition befindlich ist, beschränkt sich Ida auf das Zunicken in Richtung einer Mitschülerin, um diese aufzufordern auf die Neue zuzugehen anstelle sich hier selbst einzubringen. Diese Szene, in der sich Ida wie eine Gnade gewährende Königin verhält, fand ich insgesamt sehr bezeichnend für ihr Verhalten, das mich eher verstört betrachten ließ, wie hier auf einen Kuss gleich ein übrigens beidseitiges „Ich liebe dich“ erfolgte, ohne dass man sich zuvor wirklich nahegekommen war. Das passte in meinen Augen nicht zur Schilderung Idas und wäre wohl auch sonst selbst in jedem klaren Liebesroman; und hier handelte es sich ja nun um einen Jugendthriller; an dieser Stelle völlig unpassend, weil total überhastet; gewesen.
Der eingebaute romantische Aspekt war mir ohnehin ein Dorn im Auge: Mal schwärmte Ida total verliebt von erlebten Momenten, die zuvor nie Erwähnung gefunden hatten, mal war sie sich sicher, ihre Liebe nur vorzutäuschen, mal saß sie zwischen allen Stühlen … und äußerst auffällig war, dass ihre Verliebtheit eigentlich nur dann zum Vorschein kam, wenn der Angebetete jeweils grad anwesend war oder sie mal von Freundinnen direkt angesprochen wurde. Selbst gerät sie nie ins Schwärmen und suchte auch nie die männliche Nähe, sondern wartete immer darauf, dass er zu ihr kam.
Insgesamt trug das weder dazu bei, dass sie mir sympathischer war noch konnte ich nachvollziehen, wieso die männlichen Schüler der Akademie für Ida schwärmen sollten.

Bei der Lesestange gehalten hat mich letztlich nur die Frage, wer denn jetzt der Bösewicht sei: Diese Aufklärung fand ich zwar tatsächlich leidlich überraschend (und der Handlungsverlauf ließ mich auch rein intuitiv abwechselnd Personen verdächtigen), aber immerhin wusste man ja, dass es eine der Romanfiguren sein musste bzw. wohl ein Charakter war, dessen Name zuvor auch schonmal gefallen war und dass es eher unwahrscheinlich sei, hier den großen Unbekannten aus dem Nichts auftauchen zu lassen. Aber Idas „Oh, meine grüne Neune, diese Täterschaft, damit hätte ich ja niemals nie nicht mit gerechnet…“-Überraschungsentsetzen fand ich doch sehr übertrieben, zumal ich andere Figuren als weitaus überraschenderen Täter empfunden haben würde.
Übrigens fand ich „Tödlicher Tanz“ an einigen Stellen auch fragwürdig lektoriert, besonders an jener Stelle, an welcher Ida sich freut, dass ihre Geschwister ebenfalls an der BASE sind: Der hier genutzte Plural irritierte mich völlig, denn bei den GeschwisterN handelt es sich lediglich um die Zwillingsschwester und sonstige Geschwister wurden auch nicht erwähnt; da überlegte ich wirklich, wen ich denn nun noch verpasst hätte. Wer sagt denn „Meine Geschwister sind“ statt „Meine Schwester ist“, wenn es nur jene Schwester gibt?

Im Großen und Ganzen war ich doch eher enttäuscht von „Tödlicher Tanz“; eine mörderische Internatssituation fand ich in Krystyna Kuhns Jugendthriller „Aschenputtelfluch“ wesentlich besser beschrieben: Jener Roman haute mich persönlich zwar auch nicht vom Hocker, für mich ein durchschnittlich guter 3-Sterne-Roman, aber dort fand ich den kriminalistischen Teil deutlich besser, vor Allem auch klarer, ausgearbeitet. Im Vergleich wirkte „Tödlicher Tanz“ da auf mich einfach wie noch unredigiertes Rohmaterial, dem ich persönlich in dieser Form nur zwei Wertungssterne zukommen lassen kann.
Dass Sophie Richmond erst 2000 geboren und damit eine sehr junge Autorin ist, fährt von meiner Seite auch keinen Bonuspunkt ein, nur das kürzlich von mir an anderer Stelle rezensierte „Die Schablone“ der 1999 geborenen und damit nur unwesentlich älteren Antonia Wesseling ließ mich dazu schon sehr viel mehr Potential bei einer jugendlichen Autorin erkennen als ich es in diesem Fall nun zu tun vermochte, wozu allerdings sicherlich stark der Umstand beiträgt, dass „Tödlicher Tanz“ im Gegensatz zur „Schablone“ auf mich eben allzu ungeschliffen wirkte. Schade!