Was Platon plagte, wird uns zum Lesevergnügen

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babsiemarie Avatar

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Krimis erfreuen sich einer großen Leserschaft. Schließlich versprechen sie spannende Geschichte. Biologische Sachbücher fristen dagegen eher ein Nischendasein in Fachkreisen. Es sei denn, sie werden ebenso aufregend erzählt wie eine Kriminalgeschichte. Und genau das gelingt der Naturfotografin und Autorin Farina Grassmann. Sie hat Verbrechen in Flora und Fauna aufgespürt – und folgt den Spuren von Tätern und Opfern in „True Crime in Nature“. Sie spürt Mörder, Hacker, Trickdiebe und Hochstapler auf. Sie schlüpft mit schmarotzenden Larven in die Haut des Wirts, kriecht mit Maulwürfen unter die Erde, heftet sich mit Neunaugen an deren Fressopfer. Das ist wirklich so spannend zu lesen wie ein Krimi. Und nebenbei erfährt man eine Menge über die Natur. Etwa, dass die fischähnlichen Neunaugen schon lange vor den Dinosauriern lebten. Oder, dass Fischbandwürmer den Philosophen Platon im Alten Griechenland ebenso plagten wie uns heute. Die Täter finden sich überall in der Tier- und Pflanzenwelt; das Spektrum reicht von Lebewesen, die kleiner als ein Ameisenhirn sind, bis hin zu einem der größten Säugetiere auf Erden, Pardon: im Wasser: dem Buckelwal. Grassmann schreibt flüssig, humorvoll und anschaulich. Wie der Toxoplasmose-Erreger das Immunsystem von Säugetieren überlistet, erklärt sie am Beispiel einer Diebesbande im Museum, die die Überwachungskameras austrickst. Brackwespen hacken sich in den Antivirencode der Kohlweißlinge, um ihre Larven in deren Körpern heranwachsen zu lassen. Und Raben sind so clever, dass sie sogar die ihnen von Menschen gestellten Intelligenztests hereinlegen. Ja, Grassmann personifiziert ihre Protagonisten. Aber sie vermenschlicht sie nicht. Und obwohl Ameisenbären und Möwen morden, Fallen stellen und stehlen, verurteilt die Autorin sie nicht. Stattdessen betont sie immer wieder, wie wertvoll auch der kleines Parasit für das Ökosystem ist. „Welche Auswirkungen es hat, wenn Parasiten fehlen, können wir schon heute erahnen. Gebietsfremde Arten breiten sich ungehindert aus.“ Außerdem macht sie immer wieder deutlich, dass menschliche Arroganz gegenüber den vermeintlich rein instinktgesteuerten Pflanzen und Tieren unangebracht ist – angesichts von cleveren Überlebensstrategien, dem Gebrauch von Werkzeugen und planvollem Handeln. Das Buch ist durchweg mit comicähnlichen Illustrationen von Cornelis Jettke bebildert. Bei der Betrachtung schadet ein gewisser Sinn für schwarzen Humor nicht. Jettke verzichtet auf Niedlichkeitsfaktoren und veranschaulicht stattdessen die tierischen „Gräueltaten“ mit einem Augenzwinkern. Fazit: Ein sehr lesens- und schauenswertes Buch für alle, die sich für die Bedeutung der Natur interessieren.