Der weiße Tod von 1946

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Köln, 1941. Als Marie nach der Flucht aus Ostpreußen erschöpft mit einem Säugling in Köln ankommt, kann sie nur mit Hilfe einer Familie überleben. Diese nimmt sie als Hausmädchen auf und bietet ihr einen Raum zum Schlafen. Schnell verliebt sie sich in den Bäckermeister Matthias. Als die Herrschaft der Nationalsozialisten immer brutalere Züge annimmt, kauft Matthias der jüdischen Familie das Haus samt Bäckerei zu einem fairen Preis ab. Die Familie wagt die Flucht nach Amerika und Matthias wird zum Kriegsdienst an der Ostfront eingezogen. Marie bleibt mit der inzwischen elfjährigen Anna allein zurück. Bei den Luftangriffen der Alliierten wird auch die Bäckerei getroffen und den beiden die Lebensgrundlage geraubt. Marie ist zudem schwanger. Es beginnt für sie eine harte Zeit, in der sie täglich ums Überleben kämpfen muss.

Lilly Bernstein erzählt vom Hungerwinter 1946 in Köln. Der Zweite Weltkrieg ist gerade beendet und die Zivilbevölkerung muss zwischen den Trümmern der Stadt ihr Überleben organisieren. Ihre Protagonistin Marie sorgt für ihre beiden Kinder Anna und Karl. Als im Bombenhagel auch die Bäckerei getroffen wird, haben die drei keine Lebensgrundlage mehr. Nach Kriegsende wird Köln zur Britischen Besatzungszone. Mattias ist noch nicht heimgekehrt und Marie lernt den smarten Dean kennen, der ihr einige Annehmlichkeiten verschafft. Er wäre gerne mit ihr nach England gegangen, doch die Hoffnung, dass Matthias eines Tages wiederkommt, ist größer. Plötzlich wird sie obendrein gezwungen, das Haus aufzugeben und kann nur bei ihrem größten Widersacher unterkommen. Er bietet den dreien einen Verschlag und Marie schuftet den ganzen Tag für ihn, um mit minderwertigen Zutaten Brötchen zu backen. Diese Szenen werden so greifbar geschildert, dass man nicht nur meint, den Duft von Gebackenem zu riechen, sondern auch Maries Qualen nachspüren kann. Anna weiß sich nicht anders zu helfen, als auf dem Schwarzmarkt das Notwendigste zu organisieren. Sie bringt sich und ihren kleinen Bruder dabei oft genug in brenzlige Situationen.

Kampf gegen den Winter
Bernsteins Schreibstil ist für die Handlung angemessen. Einige Stellen erfordern ein hohes Tempo, andere lassen Aufatmen. Die Hoffnung, dass eines Tages alles wieder zu einer Normalität zurückkehren würde, ist ebenfalls immer vorhanden. Es fällt leicht, den Figuren beim Handeln zu folgen und ihre Entscheidungen nachzuvollziehen. Bei Temperaturen bis zu minus 20 Grad ohne den Schutz einer Behausung und mit der Rationierung von Lebensmitteln, ist die Bevölkerung bald ausgezehrt. Vor allem auf dem Schwarzmarkt wird die Moral bald außen vorgelassen. Anna tauscht und stiehlt, um den ständig vorhandenen Hunger zu stillen. Es fehlen zudem notwendige Medikamente, um Krankheiten zu heilen. Die Verrohung der Menschen erlebt man beim Lesen mit. Sie ist präsent, ohne mit dem Finger auf Personengruppen zu zeigen. Vielmehr zeigt der Roman ein umfassendes Bild.

Trümmermädchen ist ein Roman, der aus der Familiengeschichte von Lilly Bernstein entstanden ist. Die Autorin wuchs selbst als Kind in einer Bäckerfamilie auf und hat als Recherche Zeitzeugen interviewt. Daraus entstanden Bilder, die diesen Roman lesenswert machen. Die Geschichte beeindruckt mit dem Überlebenswillen der Figuren, ihrem Mut und vor allem mit der unverwüstlichen Hoffnung auf das Ende der Qualen.