Das Schlimme am Reisen sind all die Abschiede...

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kainundabel Avatar

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Ich gebe zu, mir fehlt alles das, was Tanja Uebel an ihren Reisen schätzt: die Adrenalinstöße, die freigesetzten Endorphine, Serotonine, Noradrenaline, geilen Neurotransmitter. Mangels Abenteuerlust und Fernweh-Gen versinke ich deshalb lieber im Sessel und bin dennoch mit (Tanja) „Uebel unterwegs“, nach deren persönlicher Einschätzung die individualreisende Spezies „stumm und dumm über Kontinente“ irrt und “Hunger und keine Ahnung“ hat.
Ich folge ihr also in Hausschuhen und bequem, dafür ohne obligatorische „Schwachmatensandalen“ auf ihrer Tour von Hamburg nach Shanghai und nehme Anteil an ihren spannenden, heiteren, nachdenklichen, erschreckenden, selbstironischen (s.o.) Erlebnissen. Und jetzt bin ich klüger. Ich weiß, dass Ali Normalteheraner nicht den ganzen Tag mit Beten, Steinigen und Urananreichern beschäftigt ist. Nein, er faulenzt auch, der Gute.
Äußerst kurzweilig erzählt die Autorin, ich mag ihren lässig-trockenen Humor, ihre pointierten Vergleiche. Dabei ist längst nicht alles des Schmunzelns wert. Die Kleidervorschriften für Frauen im durchwegs 40 Grad heißen iranischen Maschhad lassen einem das Blut in den Adern gefrieren ob der menschenunwürdigen, erniedrigenden Lebensbedingungen. Entsetzlich!
Dafür entschädigen Begegnungen mit Menschen unterschiedlichster Charaktere, „Typen“ eben – und davon bietet das Buch reichlich. Wenn Kulturen, Traditionen und Sprachbarrieren aufeinander treffen, ist Kurzweiligkeit beim Lesen vorprogrammiert. Spektakuläres trifft auf Banales, Kurioses auf Alltägliches und ich bin dabei, Gott sei dank nicht mittendrin, denn vieles möchte ich gar nicht selbst erlebt haben. Mit 80 in einem klapprigen Bus steile Serpentinen hinab zu brettern, ist wohl nur etwas für diejenigen, für die es „spießig ist, am Leben zu hängen“. Trotzdem (oder vielleicht gerade deshalb) habe ich das Buch verschlungen. Tanje Uebel hat mich von einem Ort zum anderen vorangetrieben, und ich habe ihre Erlebnisse willenlos und dankbar aufgesogen. Nicht überall durfte sie fotografieren, aber die Bilder werden vor meinem inneren Auge lebendig: dem "Schah sein klein Häuschen" (leicht untertrieben), Ashgabat, dessen Stadtzentrum aus weißem Marmor besteht (unglaublich!), der turkmenische Paketversand (köstlich!), der afghanisch-pakistanische Hitler-Fan (schauderhaft!), die T-Shirts mit der Aufschrift „I love KZ“
(wie bitte???). Da bleibt selbst dann noch ein beklemmendes Gefühl zurück, wenn man kurz darauf erfährt, dass Kasachstan das etwas unglückliche Länderkennzeichen KZ sein eigen nennt.
Alles in allem: Von der ersten bis zur letzten Seite ein mit Leben prall gefüllter Reisebericht, unterhaltsam, lehrreich, lesenswert!
Tanja Uebel hat ja recht, wenn sie sagt, das eigentlich Schlimme am Reisen seien all die Abschiede. Das gilt uneingeschränkt auch für den Lese-Abschied von „Uebel unterwegs“.