Eine lange rote Linie ...

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Tina Uebel berichtet in „Uebel unterwegs“ von ihrer Reise über den Landweg von Hamburg nach Shanghai im Sommer 2010. Zwei Monate allein durch den Balkan, Türkei, Iran, die „-stans“ Turkmenistan, Usbekistan, Kasachstan und zu guter Letzt einmal quer durch China, bis es nicht mehr weitergeht.

Was für ein Glücksfall für uns Leser, dass Tina Uebel nichts davon hält, an einem Flughafen in Westeuropa in ein Flugzeug zu steigen um einige Stunden später an einem gleich aussehenden Flughafen am Ostende Chinas wieder auszusteigen. Mit der Aussicht auf ein zweimonatiges Stipendium in Shanghai entschließt sie sich zum interessanten Weg dorthin: 7 Wochen, 8 Länder, 1 Frau, 19 Zugverbindungen. Was sie auf dem Weg erlebt, hielt sie bereits damals in einem Blog fest, den wir nun in gedruckter und gebundener Form in Händen halten können, inklusive 42 Farbfotos und 14 Schwarz-Weiß-Fotos. Und erleben tut sie einiges: Tango tanzen in Istanbul, das Leben feiern in Teheran, Spießrutenlaufen in Maschhad, das große Nichts besichtigen in Turkmenbashi, Wandern in Taschkent, und vieles mehr, darunter aufschlussreiche Nachtzugfahrten, die sich hervorragend für ethnologische Feldstudien eignen. Nicht zuletzt auch mit selbstironischem Blick auf das eigenartige Völkchen von Rucksack-Touristen, das Richtung Osten zunehmend seltener anzutreffen ist. Und dabei immer im Mittelpunkt: die Menschen! Sprachlosigkeit gibt’s nicht, und wenn man sich skurriler Übersetzungshilfen bedienen muss – für Tina Uebel bedeutet Reisen nicht Transport von A nach B, sondern Interaktion mit Land und Leuten. Gewürzt wird die Erzählung von Anekdoten, wie man sie nur als Raucherin und Kaffee-Junkie, WiFi-Abhängige und Steckdosen-Suchende erleben kann.

Ihre Pläne, als Frau alleine mal eben quer durch fundamentalistisch islamisch geprägte Kulturen zu reisen, ernten vorab im Bekanntenkreis schon viele von Vorurteilen geprägte Kommentare, doch eine Tina Uebel macht sich lieber selbst ein Bild. Ein Koranspruch, den sie in Teheran auf einer Plakatwand sieht, begleitet sie fortan auf ihrer Reise wie ein roter Faden: „Avoid much suspicion since in some cases suspicion is a sin.“

Apropos Roter Faden: das Bild der roten Linie, die man beim langsam Reisen hinter sich herzieht, mal mit den roten Linien anderer Reisender kreuzend, dabei gelegentlich dünne schwarze Linien querend, finde ich einfach wunderschön. Wie wunderbar, wenn man mit Fremden nach einigen Stunden gemeinsamen Weges vertraut wird, wie traurig all die Abschiede! Und immer wieder die Erkenntnis, bei jeder Grenzüberquerung und in den vielen Gesprächen mit denen, die bei aller Heimatliebe doch so große Hoffnungen in ein Leben im Ausland setzen, wie privilegiert wir doch sind, zufällig mit einem deutschen Pass ausgestattet zu sein. Mehrmals hört sie die Frage, ob die Deutschen denn glücklich seien, und bemerkt: Ja, nur wissen wir es nicht.

In diesem Buch findet man keine Zahlen oder trockene Hintergrundrecherchen, sondern pure Erfahrungen, subjektive Wahrnehmungen und persönliche Gedanken einer erfahrenen Globetrotterin, die auf Reisen alle Antennen auf „Empfang“ stellt, statt auf „Senden“. Tina Uebel macht mich mit ihrem Reisebericht extrem neugierig auf Länder, die für mich bisher nichts weiter als ein riesengroßer unscharfer Fleck auf der Landkarte waren. Angefixt von den Schilderungen und Bildern im Buch griff ich immer wieder zum Smartphone um zu gucken, was Instagram mir wohl unter #taschkent oder #buchara ausspucken würde. Nach bester Instagram-Manier findet man dort in der Mischung aus Party-Schnappschüssen, Selfies vor Sehenswürdigkeit/Eigenheim/Nebengasse und Food-Bildern wohl ein authentischeres Bild von Land und Leuten als die Reisekatalog-Klischees der Google-Bildersuche. Ungefähr so muss es dann wohl auch für Tina Uebel gewesen sein, auf ihrer Reise, ganz nah an der Wirklichkeit. Dabei schreibt sie wahnsinnig witzig, intelligent und nachdenklich – alles zugleich.