Komplexe Geschichtsstunde

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cara_11 Avatar

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Der Protagonist, Ex-FBI-Agent McKenzie, letzter persönlicher Sekretär von J Edgar Hoover, wird zu Beginn des neuen Jahrtausends von Forrest Ackerman (einem an Alzheimer erkrankten Anhänger von SciFi – und Horrorgeschichten) mit der Suche nach einem als verschollen geltenden Film beauftragt – es handelt sich dabei um den Streifen "Um Mitternacht" ein Stummfilm von Ted Browning aus dem Jahre 1927.
Spätestens in diesem Moment wird der erste Leser schon mal googeln: der Film wurde tatsächlich 1927 produziert (auch unter den Namen „the hypnotist“ und „London after midnight“ bekannt), auch die Hauptdarsteller hießen wie angegeben, ebenso wie auch der etwas exzentrischen Sammler, Journalist und Sci-Fi und Horrorfilmexperten Forrest Ackerman eine reale Person war, der erst 2008 verstorben ist und in mehreren Horrorfilmen sogar kurze Gastauftritte hatte – den bekanntesten davon wahrscheinlich in Michael Jacksons Musikvideo zu „thriller“. Ackerman besaß auch tatsächlich Requisiten aus dem Film „Um Mitternacht“, ebenso wie sich auch die Ringe aus Costello meet Frankenstein und The Mummy in seiner Sammlung befanden.
Bei der Suche wird McKenzie unter anderem von einem Kollegen aus dem FBI und einem weiteren Filmkritiker und Experten, David J Skal (auch eine reale Person), unterstützt.
Auf der Suche nach dem Film schweift McKenzie in Gedanken immer wieder ab, wenn er seine alten Kollegen kontaktiert und somit wieder mit Erinnerungen an die Zeit mit J Edgar Hoover konfrontiert wird, wenn eine neue Figur ins Spiel kommt oder er eine Reise unternimmt. So erfährt man „ganz nebenher“ den tragischen Grund, weshalb er sich für die Laufbahn als „Detektiv“ entschieden hat (sein erster Fall, den er aber, im Gegensatz zu den „offiziellen Fällen“, offenbar nie aufklären konnte), wieso ihn Ackerman eingangs als „alleinstehend“ bezeichnet uäm. Auch erlebt der Leser einen der ersten Flashmobs „live“ mit (wobei der reale „Dinosaurier-Flashmob“ anders ablief als hier geschildert). Und auch den Wald, in dem „the texas chain saw massacre“ gedreht wurde, findet Erwähnung, ebenso wie auch Lee Harvey Oswald’s Reise nach Mexiko wenige Tage vor dem Attentat an JF Kennedy wie zufällig in die Geschichte einfließt, ob sie tatsächlich aber SO stattgefunden hat wie im Buch geschildert darf bezweifelt werden. Auch die Fernsehserie FBI, die von 1965-1974 in enger Zusammenarbeit von Warner Bros mit dem FBI entstanden ist, gab’s in der Realität, und es stimmt auch, dass das FBI auch großen Einfluss auf die Produktion hatte und z. B. Gastauftritte von Schauspielern (wie z. B. Bette Davis) aktiv verhinderte. So wird das ganze Buch hindurch Realität äußerst geschickt mit Fiktion verknüpft, was auf umfangreiches Wissen und aufwändige Recherchen des Autors schließen lässt.
McKenzies Suche endet, verfolgt von den Schergen eines fiktiven, „unsichtbaren“ Milliardärs (Senor Martinez) im tiefsten Urwald Mexikos, bei der Ruine des (realen) Skulpturenparks Las Pozas des exzentrischen Sammlers und Mäzens, Edward James.
Edward James, auch im wahren Leben ein großer Freund der Surrealität, enger Vertrauter von Salvador Dali (der im Buch auch einmal als erwähnt wird) hatte übrigens eine sehr künstlerisch veranlage Cousine, die in Mexiko wirkte und lebte, und die witzigerweise (vielleicht war das auch der Auslöser, dass Augusto Cruz den finalen Akt seines Romans nach Las Pozas verlegt) en gleichen Nachnamen trug wie die Darstellerin des Vampirgirls Luna in „Um Mitternacht“ - Bridget Bate Tichenor. Dass allerdings Edward James ein geheimes Kino in Las Pozas hatte und dort eine Sammlung von als verschollen geltenden Filmen unter Verschluss hielt, ist sicherlich eine charmante Fantasie des Autors.
Der persönliche, interessante Schreibstil und die vielen Details über tatsächliche Geschehnisse machten das Buch für mich zu einem Pageturner. Meine Befürchtung, die Geschichte würde in einer krassen Vampir-Geschichte enden (eine Andeutung, dass anscheinend echte Vampire statt Schauspielern im Film gezeigt worden wären, gab’s zu Beginn und ließ mich das Buch vorsichtig angehen), erwies sich zum Glück als haltlos. Einen Stern Abzug gibt’s für die rudimentäre Weiterverfolgung der Geschichten von McKenzies Familie, seinem Vater, seiner Frau und Tochter. Dass ein FBI-Ermittler, der einem verschollenen Film so hartnäckig auf den Fersen bleibt, eine so private Ermittlung jemals aufgeben kann, erscheint unglaubwürdig.