Skurril und humorvoll - eine Reise trotz Handicaps quer durch die USA - Lesen!

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swansea Avatar

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Der Roman "Umweg nach Hause" von Jonathan Evison ist 2015 beim KiWi-Verlag erschienen und hat durch eine Leseprobe meine Neugierde geweckt: Ich wurde nicht enttäuscht - im Gegenteil!
Das blaue Cover mit dem VW-Bus, der den Titel des Romans in weiß in sich trägt, passt sehr gut zum Inhalt und hat mich ebenfalls angesprochen, das Roadmovie ist schon angedeutet... In den Innenseiten des Covers werden die 5 "Reisenden" kurz (aber prägnant ;-) vorgestellt, über den Autor selbst gibt es leider nur wenig zu erfahren (Klappentext Rückseite).
Inhalt/Handlung:
Ben(jamin), ein Enddreißiger, dessen Leben aus der Bahn geworden wurde, der in Scheidung lebt und vor dem "rien ne va plus" steht, heuert nach einem Crashkurs in Sachen "häuslicher Pflege" bei Trevor an, einem zynischen Jugendlichen, der an einer Muskeldystrophie erkrankt ist und im Rollstuhl sitzt. Gemeinsam fahren sie mit dem Kleinbus quer durch die USA, um Trevors Vater, der sich seinerzeit aus dem Staub und der Verantwortung machte, zu besuchen... Unterwegs begegnet ihnen mehrmals die trampende Dot (Dorothy), die letztendlich als Mitfahrerin im Van landet und Ben trotz ihrer erst 16 Jahre gut ergänzt, sich mit dem schwerstbehinderten Trevor (19), der ohnehin ständig von Mädchen schwärmt, anfreundet.. Fast in Salt Lake City, dem Wohnort des etwas verpeilten, schusseligen, aber dennoch liebenswerten Vaters von Trev, angekommen, lesen sie noch die hochschwangere Peaches und deren Freund Elton auf, die sich in der Hoffnung, eine Existenz aufbauen zu können, unterwegs eine Panne haben und in den Van umsteigen dürfen...
In Rückblenden schildert Ben (humorvoll, auch wehmütig) sein früheres Leben mit Janet und den 2 Kindern, wobei bis fast zum Romanende unklar bleibt, welche Katastrophe da über diese kleine, glückliche Familie hereingebrochen ist...
Meine Meinung:
Der Schreibstil von J. Evison ist so skurril wie dieses Buch selbst - und zeichnet sich durch einen feinen, unterschwelligen Humor, getränkt in etwas "Wehmut" aus, der mir sehr gefallen hat und den ich als äußerst unterhaltsam empfand. Die Sätze sind oftmals kurz, die Kapitel ebenfalls, was für ein klares und flüssiges Lesen sorgt, in dem man - bedingt durch die Situationskomik - um ein Schmunzeln nicht umhin kommt: Der Autor schreibt als Ben in der Ich-Form; eine witzige Kostprobe wäre z.B. (S. 160):
"Unter all den Launen und Impulsen, die gerade um die vorderen Plätze in meiner emotionalen Warteschlange kämpfen, steht eine Plauderei ziemlich weit hinten" ;-)
Stilistische Kostprobe no. 2: "Gedanken an mein früheres Leben drohen hervorzubrechen, aber ich mache das Radio an und verscheuche sie wie Tauben."
Die Charaktere der Hauptprotagonisten werden sehr facettenreich dargestellt und die Dialoge sind ob ulkig; an Situationskomik mangelt es nicht.
Fazit:
Auf dem Roadtrip quer durch die USA, die der gehandicapte und sympathische Trev mit Ben unternimmt, um seinen Vater zu besuchen (der durch seine eigene Unbeholfenheit nach einem Unfall ebenfalls gerade auf einen Rollstuhl angewiesen ist), wird die Freundschaft zwischen dem trotz eigener Probleme starke soziale Kompetenzen aufweisenden Ben und dem anfangs wenig umgänglichen Trev noch intensiviert - die Reise hilft beiden auf ihre Weise zu sich selbst zu finden (Trev) bzw. zu sich selbst und seinen Stärken zurückzufinden (Ben).
"Jeder Gedanke ist eine Entdeckung. Hinter jeder Ecke liegt ein Grund zur Hoffnung" (S. 268)
So nähert sich Trev der zeitweilig mitfahrenden Dot und verliebt sich erstmals in ein Mädchen - Ben wird klar, dass er die Scheidungspapiere unterschreiben wird, um Janet, seine Ex-Frau, loszulassen und beiden Elternteilen die Chance auf einen neuen Kontext zu geben. Er unterschreibt nach 2 Jahren...
Fazit:
Mich hat der Humor (trotz nicht wirklich lustiger Vorzeichen wie MS oder ein schlimmer Unfall) und die Menschlichkeit des Hauptprotagonisten Ben sehr gerührt, bewegt - ausgespart wurde auch nicht, dass sich Freunde abwenden können, nach bestimmten negativen Ereignissen (Ben) oder behinderte Menschen oft wie Kinder behandelt werden, obgleich sie erwachsen sind (Trev). Auch die Sensibilität, mit der die Behinderung und damit verbundenen Schwierigkeiten Trev's geschildert wurden, fand ich sehr beeindruckend. Das menschliche Verhältnis zwischen Ben und Trev könnte besser kaum beschrieben werden - und beide haben sich etwas gegeben - Freundschaft, Vertrauen!
Das Buch ist (auch bei schweren Erkrankungen, nach Katastrophen, die passieren können) eine Aufforderung, zu leben - im Hier und Jetzt - mit aller Hoffnung und Zuversicht, die das Leben auch im - und nach dem größten Schrecken zu bieten hat.
Ich vergebe sehr verdiente 5 Sterne und finde es bewundernswert, wie es Jonathan Evison (ein Dank auch an die Übersetzerin!) sehr einfühlsam verstanden hat, solch' traumatische Themen ernsthaft und ergreifend, berührend - aber auch humorvoll und dennoch komisch in den Roman, besonders in die Reise, "mit hinein gepackt" hat!
"Leben ist das, was gerade passiert, während du dabei bist, ganz andere Pläne zu schmieden". (John Lennon)
"Umweg nach Hause" - könnte "Plan B" sein ;-)
Sehr lesens- und weiterempfehlenswert!