ein ausgefülltes Leben

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miro76 Avatar

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Matzlingen, Schweiz, 1947
Gustav Perles Kindheit ist nicht gerade rosig. Seine Mutter, Emilie Perle arbeitet hart, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen und scheint von ihrem Kummer um den verstorbenen Ehemann verzehrt zu werden. Ihren Sohn versorgt sie zwar, schafft es aber nicht ihn zu lieben.

„Dennoch dachte er oft an seine Kindheit. Und jedes Mal ergriff ihn eine Traurigkeit, die absolut und umfassend zu sein schien – als könne kein Kummer der Welt ihn noch einmal so heftig treffen. Diese Traurigkeit legte sich wie ein grauer Dämmer um seine alte Kindheitsvorstellung, dass er selbst unsichtbar sei: die quälende Erinnerung daran, dass der Knabe Gustav immerzu versucht hatte, sich ins Licht zu rücken, damit seine Mutti ihn besser sah. Aber sie hatte ihn nie wirklich gesehen. Sie hatte sich für die Person, die er war, im Grunde blind gestellt.“ (S. 214)

Doch Gustavs Tage hellen sich auf, als Anton in seine Vorschulklasse kommt. Gustav schafft es, Antons Tränen zu vertreiben und ihm ein Lachen zu entlocken. Und von diesem Tag an macht Gustav es sich zur Aufgabe sich um Anton zu kümmern.

Matzlingen, 1992
Gustav ist nun stolzer Besitzer eines kleinen aber feinen Hotels. Er liebt es seinen Gästen einen möglichst angenehmen Aufenthalt zu bescheren. Seine Tage sind beschaulich und Gustav ist zufrieden. Aber ist er auch glücklich?

Anton und Gustav treffen sich noch immer regelmäßig, doch Anton lebt wie ein Getriebener. Als Kind kämpft er sich von einem Klavierwettbewerb zum nächsten, nur um immer wieder zu scheitern. Als Erwachsener hastet er von einer Affäre zur anderen. Schließlich stürzt er sich in einen zweiten Versuch, seine Musikkarriere vorwärts zu trieben, um endlich als Gestrandeter bei Gustav zu landen.

„Wäre mein eigenes Leben glücklicher verlaufen, wenn ich Anton Zwiebel niemals kennengelernt hätte? Und in dem Moment wusste er, dass es so gewesen wäre.
Zwar hatte Emilie Perle ihn gut darin geschult, zu lieben, ohne geliebt zu werden, aber er begriff doch, wie dieser Mangel an Liebe dazu hatte führen können, dass es so besessen auf äußerliche Ordnung und Kontrolle bedacht war.“ (S. 325)

Zwischen Gustavs Kindheit und seinem Erwachsenenleben liegt ein Abschnitt, der uns Emilies Geschichte näher bringt und wir beginnen zu verstehen, was uns im Kindheitsabschnitt noch undenkbar schien. Auch Emilie Perle hat es nicht geschafft, ihre Kindheit abzustreifen und hat ihren Zorn und ihre Wut bis ins hohe Alter mitgetragen.

Rose Tremain hat hier mit viel Geschick ein spannendes Familiendrama geschrieben. Sie stellt die große Frage, wie sehr einen die Vergangenheit festhält und wie weit wir darin gefangen sind. Gustav hebt sich über seine lieblose Kindheit, indem er versucht, sich so gut wie möglich um seine Mitmenschen zu kümmern. Er vergisst dabei aber fast, sich um sich selbst zu kümmern.
"Und damit fing es an" ist ein großartiger Roman über das Finden und Wiederfinden von Freundschaft und Liebe, über ein Leben, das Trotz vieler Widrigkeiten ein ausgefülltes ist, um schließlich in der Beschaulichkeit des Alltags seinen Höhepunkt zu finden.
Rose Tremain hat wunderschöne Worte für ihren Roman gefunden. Ich bin begeistert von ihrer klaren Sprache, die keinen Raum für Kitsch und allzu große Melancholie lässt. Sie erzählt ihre Geschichte mit einem Augenzwinkern. Immer wieder durfte ich Schmunzeln bei der Lektüre. So tragisch Vieles ist, bleibt doch Platz für Humor.
Ich bin restlos begeistert von diesem Buch und sehr traurig Gustav und Anton nicht noch länger begleiten zu dürfen.