Etwas Wunderbares

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hurmelchen Avatar

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Kann es sein, frage ich mich, als ich das soeben beendete Buch zuklappe, daß ich noch nie etwas von Rose Tremain gelesen habe?
Wie konnte ich das Werk, der in Großbritannien über alle Maßen bewunderten Autorin, bisher ignorieren?
Nach der beglückenden Lektüre ihres neuesten Romans, mit dem völlig absurden deutschen Titel "Und damit fing es an" ( viel treffender im Original "The Gustav Sonata"), wird sofort das Gesamtwerk dieser Meisterin des Wortes angeschafft!
Die Gustav Sonate.
Das ist nicht nur der zwingende Titel dieses Romans, er impliziert auch, was Tremain hier zelebriert, nämlich die Verschmelzung zweier Kunstformen, des Schreibens und des Komponierens.
Rose Tremain baut ihre anbetungswürdige Erzählung auf, wie eine Sonate, gliedert sie in drei Teile/ Sätze: Sonatenhauptsatz, langsamer Satz, Rondo Finale, und schafft damit ein Meisterwerk.

Erzählt wird eine Geschichte, die 60 Jahre umspannt.
Hauptfigur ist Gustav Perle, der mit seiner verbitterten Mutter Emilie in einer kleinen Schweizer Stadt , namens Matzlingen aufwächst.
Seine Freundschaft zum gleichaltrigen Anton Zwiebel, der im Gegensatz zu Gustav, behütet und begütert mit seinen jüdischen Eltern lebt, und eine Art Piano - Wunderkind ist, bildet den Mittelpunkt der Erzählung.
Im ersten Teil erfährt der Leser, unter welch ärmlichen Umständen Gustav groß wird, und wie wichtig für ihn die Freundschaft mit Anton ist.
In einer der schönsten Szenen des Romans, fährt Gustav mit Familie Zwiebel in den Urlaub nach Davos, wo die beiden Jungen im Wald die Ruine eines verlassenen Sanatoriums entdecken, um dort ein Rollenspiel zu ersinnen, bei dem beide als fiktive Ärzte, Herren über Leben und Tod spielen.
Diese Schlüsselszene ist gleichzeitig eine Hommage am Thomas Manns "Zauberberg". Auch im weiteren Verlauf der Handlung wird mehrfach an diesen literarischen Meister erinnert.
Im zweiten Teil springt Tremain in die Zeit vor Gustavs Geburt und zur Begegnung seiner Eltern, sowie zu deren tragischer Ehe und dem Tod von Gustavs Vater.
Das Gespenst der Naziherrschaft im Nachbarland Deutschland, und das Schicksal der Juden, die in die Schweiz flüchten, und damit dem Buch eine erschreckende Paralelle zu unserer Flüchtlingskrise geben, sind untrennbar mit dem Schicksal der Perles verbunden.
Im dritten Teil sind Gustav und Anton über 50, aber immer noch auf Gedeih und Verderb miteinander verknüpft.

Alles an diesem Roman ist perfekt. Der ruhig - distanzierte, jedoch äußerst emotionale Ton, die Protagonisten, von denen kein einzig Auftretender überflüssig ist, sowie die Thematik des "fehlgelaufenen" Lebens.
Rose Tremains Worte packen den Leser, zwingen ihn, der Wahrheit über das Leben ins Auge zu schauen und zerreißen ihm dabei das Herz.

Was heilt die Verheerungen eines Lebens, wenn nicht Liebe und Musik?
Und den Schrecknissen unserer Welt, begegnet man mit Romanen, wie diesem!
Ich gestehe, ich habe auf den letzten Seiten hemmungslos geweint, denn Rose Tremain gelingt etwas Wunderbares: Sie zeigt dem Leser, was der Sinn eines Lebens sein kann.
Ihr Buch ist für Menschen, die beim Lesen begreifen und lernen wollen.
Mehr kann man von einem Roman nicht erwarten!