Zwei Männer, ein Arzt

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aennie Avatar

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Zwei Männer, zwei Denker, zwei Hypochonder. So unterschiedlich und doch so gleich in vielen Dingen, leben Charles Darwin und Karl Marx im Jahre 1881 nur wenige Meilen voneinander entfernt. Beide sind längst über ihren Zenit hinaus, aber wie unterschiedlich sieht das aus? Darwin, zu diesem Zeitpunkt 72 Jahre alt, in einem schönen Landhaus in Kent, nach wie vor Naturforscher durch und durch, er forscht, er schreibt, er geht seine Runden im Garten, pflegt den Austausch mit Frau Emma, Hündin Polly, dem Gärtner und seinem Arzt. Sicher plagen ihn einige Zipperlein, manche altersbedingt, andere eher nicht wie Doktor Beckett vermutet.
Und Karl Marx? Alles an ihm wirkt in der Schilderung der Autorin (auf mich) wenig sympathisch, 63 Jahre alt, übellaunig, meckernd, polternd, Zigarren rauchend und zu keinerlei produktiver Arbeit fähig, fast mittellos im Londoner Exil. Husten plagt ihn, Atemnot, Furunkel und Geschwüre treten immer wieder auf. Doktor Beckett wird auch sein Hausarzt. Und dieser Doktor Beckett ist nun eigentlich das erzählerische Mittel der Autorin, eine Geschichte zu entspinne, um diese beiden Männer des 19. Jahrhunderts, denen beiden vorgeworfen werden könnte, den Menschen Gott geraubt zu haben. Eine Tatsache, die Darwin weit von sich weisen möchte, und Marx dankt ihm gleichzeitig dafür, dass er für ihn sozusagen schon einmal das Terrain geklärt hat.
Was ist nun Inhalt dieses Buches und was soll erzählt werden? Fakt ist, die beiden haben sich nie getroffen, und ich werde nun nicht schreiben, mein Gott, wie kann das nur sein? Ich sage: warum sollten sie auch? Die beiden haben nichts, aber auch gar nichts gemeinsam. Das reicht von der wissenschaftlichen Ausrichtung (aus eigener Erfahrung: Naturwissenschaftler und Geisteswissenschaftler, das hakt im persönlichen ehrlich gesagt schon mal häufiger…), dem Verhalten, dem Wohnort (1881, nicht 2000 oder 2017: keine Autobahn, keine U-Bahn…), letztlich dem Interesse aneinander und für das Werk des anderen, also: warum? Nur weil man in der selben Zeit, in derselben Gegend (nicht mal in derselben Stadt!) wohnt? Dann gäbe es Stoff für viele Geschichten von Menschen, die sich nie trafen.
Aber das ist mir eigentlich ganz egal. Ich fand das Buch sehr interessant, weil ich viel über Darwin erfahren habe und etwas über Marx, wobei ich es schön fand, dass ersterem mehr Raum gegeben wurde, da er für mich persönlich der spannendere (und nettere) Protagonist der beiden war, und natürlich ist das sicher mitentscheidend, mir sein Forschungsgebiet näherliegt. Die Gespräche mit Doktor Beckett, die Gedanken über Gott und Religion, über Schöpfung und Naturgesetze, Parallelen zwischen Marxismus und dem alten Testament und dem Zustandekommen psychosomatischer Krankheiten bei den beiden Herren, verursacht durch ihre Forschungs-Sujets - das ist unterhaltsam und erfrischend geschrieben. Die Begegnung zwischen Marx und Darwin dann, schlussendlich einem Zufall geschuldet und nicht einmal durch den Arzt herbeigeführt, war für mich nicht der kulminierende Höhepunkt der Geschichte. Ehrlich gesagt habe ich das Kapitel sogar zweimal gelesen, weil ich dachte, ich hätte etwas verpasst. Für mich am stärksten war das Ende Darwins, sein letztes Zusammentreffen mit dem Priester, der Spagat zwischen Überzeugung und dem Willen, seiner Emma die Hoffnung auf ein Wiedersehen doch nicht ganz zu verwehren.

Fazit: Die Stärken des Buches liegen in den Dialogen und Interaktionen Darwins mit dem Arzt, mit Emma, mit Polly. Das hat mir gut gefallen, das habe ich interessiert oder amüsiert gelesen. Über Marx habe ich mich geärgert, was an der Schilderung seines Charakters lag. Insgesamt muss ich sagen, mir hat es gefallen, für mich war es spannend, informativ und unterhaltsam, ich glaube, aber, dass jemand, der mehr „Geschichte“ im Sinne von Handlung erwartet, nicht ganz glücklich wird mit dem Buch.