Ein inhaltlich sehr relevanter Roman über Mobbing mit Schwächen in der Konstruktion.

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Leerer Stern Leerer Stern
ansichten_einer_leserin Avatar

Von

Zum Inhalt:
Trotz der kurzen Kapitel und der erst allmählichen Preisgabe von Informationen ist die Handlung doch recht spannend, spätestens als der Ich-Erzähler von seinen Superkräften und seiner Verwandlung erzählt. Unklar bleibt zunächst, ob es sich hier um einen Fantasyroman handelt oder ob die Superkräfte nicht vielmehr Ausdruck einer Krankheit oder Ähnliches sind, da der Ich-Erzähler in einem Krankenhaus liegt und mit einer Psychologin sprechen soll. Die Frage ist also, ob es nur gedachte oder für die Handlung reelle Kräfte sind.
Auch das Verschwinden und Unsichtbar- bzw. Sichtbarsein ist im ersten Romandrittel noch so ungeklärt, dass auch hier viel Spannung und Neugier erzeugt wird.
Etwa nach einem Drittel des Romans wird chronologischer erzählt, sodass sich die Handlung besser nachvollziehen lässt und nach und nach aufgedeckt wird, was es mit den Superkräften auf sich hat. Die Ursache ist nämlich, dass der Ich-Erzähler geärgert, vorgeführt, schikaniert, kurz: gemobbt wird. Ein für mich als Lehrerin und Mutter extrem wichtiges und aktuelles Thema. Spannend finde ich, wie sich hier das Mobbing entwickelt, wie sich das Umfeld verhält, wie der Täter agiert, wie (nicht) geholfen wird. Dabei wird immer wieder auf das Motiv des Drachens verwiesen, für mich eine Metapher dafür, was man ertragen und erdulden musste, aber auch welcher Hass dadurch in einem gewachsen ist. Allerdings kann ich mir vorstellen, dass genau diese Metapher für Schüler:innen einerseits schwierig zu verstehen ist und andererseits etwas konstruiert und vielleicht sogar albern wirkt. Auch die Metapher des Unsichtbarseins nimmt einen zentralen Stellenwert ein (vgl. Titel).
Gut finde ich die eingeschobene Fabel, wenngleich sie als Märchen ausgewiesen ist, sowie die Geschichte vom Drachen. So kann nämlich im Unterricht über Genres und Intertextualität gesprochen werden.

Zur Konstruktion:
Die kurzen Abschnitte innerhalb eines Kapitels lassen einen glauben, schnell zu lesen und keine großen Lesepensen vor sich zu haben. Da jedoch die Abschnitte eigentlich zusammengehören, ist mir unklar, warum überhaupt Abschnitte gesetzt wurden. Zudem muss ich gestehen, dass sie mich recht schnell nervten, verhindern sie doch, dass ich so richtig in der Handlung ankomme. Nie verweile ich lang genug in einer Situation, um sie mitzuerleben, um die Figuren kennenzulernen, um Zusammenhänge herzustellen. Dazu kommt, dass zunächst ein Vorgriff stattfindet, bevor die eigentliche Handlung rückblickend chronologisch erzählt wird. Für Schüler:innen könnte dieser Einsteig medias in res schwierig sein, da sie erst einmal ein größeres Stück lesen müssen, um der Handlung folgen zu können. Auf der anderen Seite ist Literatur für Erwachsene häufig auch so konzipiert, sodass ein sanfterer Übergang entsteht.
Schwierig könnte auch der Erzählerwechsel innerhalb der Kapitel sein. Damit geht einher, dass zu Beginn verschiedene Figuren eingeführt werden, was zunächst auch etwas unübersichtlich wird. Allerdings finde ich den Kniff sehr gut, diese Figuren anhand der Uhrzeit oder Orte einzuführen.

Insgesamt ist es ein Roman, der ein sehr aktuelles Thema aufwirft. Allein deswegen ist er schon lesenswert. Allerdings bietet die Konstruktion aus meiner Sicht einige Schwachstellen, die das Lesevergnügen trüben.