Ewige Jugend auf dem Nordatlantik

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missmarie Avatar

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"und da war der Kapitän gegangen
vielleicht war er an Deck
an Deck
eine rauchen
oder war noch da
doch noch da
es war nicht ganz klar, alles verschwamm."

Alles verschwimmt - die zeitliche Abfolge, die Wahrheit, die Jahrzehnte, sicher geglaubte Überzeugungen. Was ist real, was ausgedacht, was magischer Realismus und was eine Erzählung in der Erzählung? Simone Buchholz macht es ihren Lesern nicht unbedingt leicht und will das womöglich auch gar nicht. Dennoch legt sich - ähnlich einer Brotkrumenspur - Hinweise zwischen den Seiten aus, die die teilweise abgedrehte Handlung zu einer stimmigen Kernaussage verbinden können.

In Buchholz Roman "Unsterblich sind nur die anderen" suchen Malin und Iva nach ihren Männern, die auf der Überfahrt von Dänemark nach Island über die Faröer Inseln verschwunden zu sein scheinen. Wie ihre drei männlichen Vorgänger begeben sich die Freundinnen auf die MS Rjúkandi und merken schnell, dass sie hier in einer Art Parallelwelt angekommen sind. Irgendwann treffen sie tatsächlich auf die verloren geglaubten Herren. Aber irgendwie geht es da schon um etwas ganz anderes. Mehr über den Inhalt zu verraten, ist kaum möglich, ohne die gesamte Handlung zu erklären oder in unverständliche Schilderungen abzudriften. Denn in Buchholz Erzählung hängt alles miteinander zusammen: Nereiden, der zweite Weltkrieg, die Titanic, Mutterschaft, pastellrosa Häuser am Hafen und abgeranzte Hafenschenken.

Zu Beginn fällt es schwer, in die Geschichte hineinzukommen. Hat man sich aber erst auf die wirre Handlung eingelassen, wird Stück für Stück ersichtlich, welches Kunststück Simone Buchholz hier verbringt. Der Roman ist nämlich nichts anderes als die moderne Antwort auf die klassischen antiken Tragödien. Sogar drei Akte in schönster Dramenmanier sind im Buch untergebracht. Und wie kann es anders sein: Sämtliche Meerjungfrauen, Nymphen und Wasserwesen der antiken (sowie nordischen und asiatischen) Mythologie kommentieren chorartig die Handlung. Es bereitet große Freude, die Mosaiksteinen einzusammeln und zu einem großen Bild zusammenzusetzen. Hinzu kommt die raue Meer-Atmosphäre, die weniger mit Strandurlaub und mehr mit Ungestümtheit und Wildheit zu tun hat.

"Unsterblich sind nur die anderen" ist eine absolute Empfehlung für Liebhaber des magischen Realismus und der großen Meereserzählungen. Alllerdings sollte man bereit sein, sich anfangs auf viele Fragezeichen einzulassen.