Brennpunkte der Realität

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owenmeany Avatar

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Den neuesten LeCarré lasse ich mir nicht ohne Not entgehen, denn wie oft hat er mir die Zeitgeschichte verständlich gemacht durch das Herunterbrechen auf Einzelschicksale, oder eben vor Augen geführt wie in der "Libelle", warum es unmöglich ist, sie zu verstehen. Und das bettet er jedes Mal in einen spannenden Krimi ein mit einem finalen Showdown, der noch nie einen faden Nachgeschmack hinterließ.

Nun wendet er sich also abermals der russischen Seele zu, mehr denn je gebeutelt durch politische Umstürze, die noch nie Rücksicht auf das Volk nahmen und immer wieder den gleichen Abschaum nach oben spülen.

Diese köstlichen Sätze voller angelsächsischen Détachements! Meisterhaft versteht es LeCarré, ein augenzwinkerndes Einverständnis zwischen Autor und Leser herzustellen, so dass man gar nicht anders kann, als sich der Achterbahnfahrt durch doppelbödige Begebenheiten janusköpfiger Akteure lustvoll hinzugeben. Aber Vorsicht: ein kleines Nachlassen in der Konzentration und man ist heillos im Gestrüpp der Täuschungen und Doppelagenten verloren.

Strotzend vor Detailfreude erweckt LeCarré seine Figuren mittels glaubwürdiger, pointierter Lebensläufe voller markanter Wendungen zum Leben. Gail und Perry, das junge akademisch gebildete Paar, zwischen Karriere und Ambitionen, die Welt zu retten, noch unentschlossen, sucht in einem Tennisurlaub in Antigua den der Entscheidungsfindung förderlichen Abstand und lernt dort zufällig den Russen Dima kennen.

Des Autors Blick für Details wie z.B. die Schleife an Dimas Hose macht seine Romane immer wieder zu einer intellektuellen Herausforderung, die bis in die feinsten Verästelungen Spannung erzeugt. Ehe sie sich's versehen, befinden sich unsere Protagonisten schon in den Klauen des englischen Geheimdienstes, natürlich in der klassischen Szenerie einer konspirativen Wohnung. LeCarré belässt nichts im Ungefähren, auch der sprachliche Akzent charakterisiert die Figuren.

Routiniert fügt der Autor die Handlung in der Technik der Rahmenerzählung zusammen und erzeugt durch die changierenden Perspektiven ein interessantes Moirémuster.

Selten habe ich das Ende einer Leseprobe so bedauert und das Erscheinen des Buch so herbeigesehnt wie im vorliegenden Fall. Falls einer meiner Vorrezensenten, die getreu nach Freiherr von Lichtenberg beim Zusammenstoß dieses Romans mit ihrem Kopf ein hohles Geräusch vernahmen, unerwünschter- und ungerechterweise durch Auslosung in dessen Besitz gelangen sollte, gebe ich nach Kontaktaufnahme per E-Mail gerne meine Adresse bekannt zwecks Zusendung des von mir unbändig begehrten Bandes.