Beängstigend realistisch

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suse9 Avatar

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Gail und Perry haben alles im Leben erreicht. Als aufstrebende Rechtsanwältin und Dozent an der Uni haben sie Erfolg, und auch ihre Beziehung scheint stabil. Jedoch sind beide nicht zufrieden. Er will sich beruflich - eventuell auch privat - verändern und die Welt gleich mit. Sie zweifelt, ob ihre Karriere wirklich erst beginnt und ein neues Leben mit Perry besser ist als ohne ihn. Das Tennismatch im Urlaub mit Dima - dem russisschen Geldwäscher - wird zum Schlüsselerlebnis.

Dies ist mein erster Carré. Erwartete ich eine anstrengende Lektüre, wurde ich angenehm überrascht. Auch wenn man sich beim Lesen konzentrieren und zwischen die Zeilen schauen musste, kam ich schnell in die Geschichte rein. In einem außergewöhnlich sachlichen Ton erzählte der Autor in Rückblenden die Ereignisse auf der Urlaubsinsel. Ich fühlte mich am Anfang des Buches in ein Kammerstück versetzt. Gail und Perry wurden in einem Kellerraum vom englischen Geheimdienst befragt, zu dem sie Kontakt aufgenommen hatten. Je nach dem, aus wessen Sicht die Ereignisse geschildert wurden, zeigten sich verschiedene Interpretationen.

Die Spannung, die von dieser Geschichte ausgeht, wird nicht durch actionreiche Verfolgungsjagden erzeugt, sondern von der Art und Weise, wie der Autor die Details vor uns entblättert. Fast scheint es, als wenn er völlig emotionslos auf die Gefahren hinweist, in der Dima und sein Gefolge schweben. Bürokratische und karriererelevante Aspekte innerhalb des Geheimdienstes erschrecken und machen angst. Die Verstrickungen, die Carré offenbart, zeigen unsere Machtlosigkeit und zerren an den Nerven. "Verräter wie wir" ist spannend und realistisch erzählt. Leider konnte ich weder für Gail und Perry noch Hecktor und Dima Sympathie empfinden. Lediglich Luke überzeugte mich durch seine Aufrichtigkeit, Wärme und seinen Mut. Gail und Perry waren unauthentisch. Woduch die angespannte Situation zwischen ihnen hervorgerufen worden ist, konnte ich nicht erkennen, und ihr Engagement für die wildfremde Familie einer russischen Mafiagröße konnte ich nicht nachvollziehen.

Dennoch hat mich der Roman "Verräter wie wir" beeindruckt.