Absolut überragend

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aennie Avatar

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Mindestens sechs Sterne hat „Von Ende der Einsamkeit“ von Benedict Wells in meinen Augen verdient. Ohnehin bin ich der Meinung, dass Wells literarisch auf einem anderen Level spielt als die große Masse, aber dieses Buch steht für mich auch noch einmal jenseits seiner bisherigen anderen Werke.

Wells erzählt die Lebensgeschichte von, in erster Linie, Jules Moreau, aber auch die seiner beiden Geschwister Marty und Liz. Dabei ist ein Unfall Jules in der Gegenwart der Ausgangspunkt für die Ich-Erzählung. Schlaglichtartig beleuchtet Jules alle entscheidenden Szenen seines Lebens, in denen Wendepunkte, Abzweigungen – schlicht: Schicksal ‚passierte‘ und ihn prägten. Beginnend mit dem Unfalltod der Eltern in der Kindheit führt Jules den Leser durch seine Schulzeit, seine Orientierungsphase danach, sein Erwachsenenleben, sein Familienleben. Wichtiger Dreh- und Angelpunkt ist dabei auch immer das jeweilige Verhältnis zu seinen beiden Geschwistern, bzw. deren aktuelle Status in Bezug auf Gefühls- und Berufswelt beleuchtet werden. Langsam wird man dabei immer weiter an den Zeitpunkt und die näheren Umstände des Motorradunfalls herangeführt.

Hätte ich ein Buch der „schönen Sätze“, hätte ich während der Lektüre von „Vom Ende der Einsamkeit“ eine ganze Menge hineinschreiben müssen. Dieses Buch enthält so viele, so kluge, so traurige, so wunderschöne Sätze, ist insgesamt in einem einfach schönen Sprachstil verfasst, ich denke nicht, dass mir das in den letzten Jahren irgendwann einmal so geballt aufgefallen ist.
Vom Ende der Einsamkeit ist grenzenlos traurig und trotzdem wunderschön. Es zeigt auf, wie das Leben Jules zu dem gemacht hat, was er ist. Wie seine Geschwister ganz anders wurden, obwohl ihnen dasselbe passierte. Jules erkennt irgendwann, dass alles, was ihm passiert ist, ihn verändert hat. Jede Entscheidung, die er traf, hat seinen Weg beeinflusst, aber alles ist ER. Die Variante von ihm, die dabei herausgekommen ist, hat ER geschaffen – und zwar egal, ob er sein Schicksal akzeptiert hat oder sich ihm widersetzte, das was danach folgte, hat er durch seine Haltung erschaffen – „nur ich selbst [bin] der Architekt meiner Existenz (…)“ – das ist ein guter Gedanke – einer von so vielen.

Letztendlich bleibt die Gewissheit beim Zuschlagen des Buches, dass dieses Buch in einigen Jahren wirklich nicht mehr so schön aussehen wird, wie es es jetzt tut. Denn es ist ein Wiederlese-Buch. Es gibt diese Bücher, von denen man weiß oder fühlt, dass man sie nochmal lesen wird, oder noch zweimal oder eventuell noch zehnmal in seinem gesamten Leben – das hier ist so eins. Das bleibt. Und das freut mich sehr.