Die Sehnsucht eines Verlorenen

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rauschleserin54 Avatar

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„Was folgt, ist dunkles Staunen und ein dichter Nebel, nur selten gelichtet von einigen, kurzen Erinnerungen. Wie ich in meinem Zimmer in München stehe und aus dem Fenster sehe, in den Innenhof und der Schaukel und dem Baumhaus und in das Morgenlicht, das sich in den Ästen der Bäume verfängt. Es ist der letzte Tag in unserer komplett leergeräumten Wohnung, ich höre Marty nach mir rufen.“

Das ist der Abschied von seinem Zuhause und von seiner Kindheit. Der Blick in den Hof hat ihm immer Stabilität gegeben, hier war der Blick immer gleich, aller Veränderungen zum Trotz. Jules kommt nach dem Tod der Eltern, mit seinen Geschwistern in ein staatliches Internat auf dem Land und dort werden die Geschwister
sofort getrennt. Jules ist 11 Jahre alt. Er wird zu einem Einzelgänger, die einzige freundschaftliche Beziehung hat er zu Alva. Aber auch sie braucht den Rückzug, hat eigene Geheimnisse.

Das dunkle Staunen und der dichte Nebel bleiben lange die Gefährten von Jules. Dieser großartige Entwicklungsroman nimmt den Leser mit auf eine Reise durch ein Dickicht unterschiedlicher Facetten der Einsamkeit, Schuldgefühle, Erinnerungen und Glücksmomente. Hier gibt es keine Liebesgeschichte, die geradewegs zum Happyend führt. Hier gibt es das wahre Leben, kein Schwarz und kein Weiß. Hier gibt es Sätze, die mich innehalten lassen, weil sie so unendlich stark berühren und ich mich immer frage, wie kann ein so junger Autor so weise und reife Gedanken niederschreiben.

Nachdem der Blick auf den Hof nicht mehr möglich ist, ist für Jules und auch seine Geschwister eine komplette Welt zusammengebrochen und jeder von ihnen geht auf seine Art damit um. Jules braucht sehr lange, um zu begreifen wer er ist.

„Eine schwierige Kindheit ist wie ein unsichtbarer Feind: Man weiß nie, wann er zuschlagen wird.“

Ein Meisterwerk ist hier von Benedict Wells geschaffen worden, besonders für die, die so eine Kindheit hatten und sich immer wieder verloren fühlen, aber ich denke auch für alle, die verstehen möchten. Dieses Buch hat mich bewegt, wie selten eines zuvor und ich kann nur 5 Sterne für diesen Lesegenuß vergeben. Ich bedanke mich bei Benedict Wells für die vielen besonderen Sätze, die lange in mir nachhallen werden.