Ich bin der Architekt meiner Existenz

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miro76 Avatar

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„Das hier ist alles wie eine Saat. Das Internat, die Schule, was mit meinen Eltern passiert ist. Das alles wird in mir gesät, aber ich kann nicht sehen, was es aus mir macht. Erst wenn ich ein Erwachsener bin, kommt die Ernte, und dann ist es zu spät.“ (S. 67)

Viel zu jung haben der Ich-Erzähler Jules und seine Geschwister Marty und Liz ihre Eltern bei einem Autounfall verloren. Sie wachsen im Internat auf und verbringen die Ferien bei einer Tante. Die Geschwister verlieren sich fast aus den Augen, denn im Internat gibt es klare Hierarchien. Jeder dümpelt in seinem eigenen Ökosystem.
Doch wenn es hart auf hart kommt, können sich die Geschwister aufeinander verlassen. Sie werden erwachsen mit allen Höhen und Tiefen und kommen sich langsam wieder näher. Jeder von ihnen trägt sein eigenes Päckchen und kompensiert Verlorenes auf seine Art und Weise.

„Eine schwierige Kindheit ist wie ein unsichtbarer Feind, dachte ich. Man weiß nie, wann er zuschlagen wird.“ (S. 135)

Jules hat schwer zu kämpfen mit seiner Vergangenheit. Er lag im Streit mit seinem Vater, als der Unfall geschah. Seine letzten Worte an seinen Vater waren voll kindlicher Grausamkeit.

„Du musst endlich die Vergangenheit vergessen. Weißt du, wie viele Menschen es schlechter hatten als wir? Du bist nicht schuld an deiner Kindheit und am Tod unserer Eltern. Aber du bist schuld daran, was diese Dinge mit dir machen. Du allein trägst die Verantwortung für dich und dein Leben. Und wenn du nur tust, was du immer getan hast, wirst du auch nur bekommen, was du immer bekommen hast.“ (S. 185)

So einfach, und doch so schwer!
Doch Jules findet schließlich seinen Weg und seine Liebe. Auch wenn ihm nur ein kurzes Glück gewehrt ist, versöhnt er sich mit seinem Schicksal.

„Noch stärker als meine Geschwister habe ich mich gefragt, wie sehr mich Ereignisse aus meiner Kindheit und Jugend bestimmt haben, und erst spät habe ich verstanden, dass in Wahrheit nur ich selbst der Architekt meiner Existenz bin. Ich bin es, wenn ich zulasse, dass meine Vergangenheit mich beeinflusst, und ich bin es umgekehrt genauso, wenn ich mich ihr widersetze.“ (S. 337)

Große Gedanken, schwere Themen und tiefe Gefühle durchziehen diesen Roman und machen ihn zu einem wunderschönen Gesamtwerk voll gewichtiger Sätze, die dennoch so leicht zu lesen sind. Benedict Wells‘ Sprache ist tiefgründig, melancholisch und trotzdem von narrativer Einfachheit. Daher hat mich dieser Roman auch so stark berührt. Ich musste einige Tränen verdrücken und immer noch wirkt diese Geschichte in mir nach und regt meine Gedanken an. Hadert nicht jeder manchmal mit seiner Kindheit? Bin wirklich nur Ich meines Glückes Schmied?

Es ist beeindruckend, dass so eine dichte Erzählung mit dieser Fülle an Überlegungen auf so wenigen Seiten Platz findet.
Ich bin restlos begeistert und berührt von diesem wunderschönen Roman und traue mich schon jetzt sagen: Für mich das beste Buch dieses Jahres!