Vom Ende der Einsamkeit – Wenn die Realität die Träume verdrängt

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nicky_g Avatar

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Benedict Wells erzählt die Geschichte dreier Geschwister, Marty, Liz und Jules, die nach dem Unfalltod ihrer Eltern ins Internat kommen. Jeder von ihnen geht seinen eigenen Weg, während der Leser Jules begleitet. Er freundet sich mit Alva an, verliert sie nach dem Abitur aber aus den Augen, um sie später wiederzutreffen. Unterdessen bricht er sein Jurastudium ab, scheitert als Fotograf, rekrutiert erfolgreich Nachwuchsbands. Aber nie lässt ihn der Zweifel am eigenen Leben los und damit verbunden die Frage, ob es anders hätte sein können, wenn seine Eltern damals nicht gestorben wären.

Mit leisen, traurig angehauchten Worten lässt der Autor uns an Jules‘ Leben teilhaben. Die Sprache ist die eines Erwachsenen, der aus Sicht eines Jugendlichen schreibt. Die Bilder, die heraufbeschworen werden, setzen sich fest (zum Beispiel als Jules von der Saat redet oder das „aschige Gefühl der Unterlegenheit“). Es macht einfach Freude diese Sätze zu lesen, weil sie nicht konstruiert wirken, sondern eine neue Sicht auf die Dinge vermitteln, die man bereit ist anzunehmen.

Besonders interessant ist die Beobachtung der drei Geschwister, die ihre Leben unterschiedlich angehen nach dem Tod der Eltern. Drei Charaktere, die anders reagieren, die sich anders entwickeln, aber doch zusammenstehen, obwohl sie fortschreiten und sich verändern. Trotzdem sind sie alle glaubhaft und ehrlich.

Ich habe mich oft an die eigene Kindheit und Jugend in den 80er-Jahren erinnert, wenn Alva zum Beispiel ihren Walkman benutzt.

In allen Überlegungen und Handlungen von Jules schwebt stets die Verlorenheit in der eigenen Generation. Was ist, wenn man jemand wird, mit dem man nicht gerechnet hätte?

Es gibt so viele wunderbare Textstellen, die vermeintlich kleine Wahrheiten beinhalten, aber die verblüffend in ihrer Einfachheit und in ihrer Klarheit sind. Eine meiner Lieblingsstellen ist: „… Es hat in meinem Leben so viele Abzweigungen gegeben, so viele Möglichkeiten, ein anderer zu sein.“ […] „Die Frage ist, was wäre jedoch nicht anders? Was wäre das Unveränderliche in dir? Das, was in jedem Leben gleich geblieben wäre, egal welchen Verlauf es genommen hätte. Gibt es Dinge in einem, die alles überstehen?“ (S. 275)
So spannend, erschreckend und tragisch kann ein Leben sein, das einfach gelebt wird.