Leider ohne Nervenkitzel!

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majandra Avatar

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**1)        ** **Inhalt**

 

Die rothaarige Polizistin Renée Pettersen wird vor und in ihrer eigenen Wohnung von einem brutalen Mann überfallen, der versucht, sie zu ermorden. Dabei wird sie teilweise skalpiert, überlebt aber knapp. Ab diesen Zeitpunkt stellt sich die Frage nach dem Warum, den Mörder kennen die LeserInnen allerdings, denn es wird abwechselnd aus seiner und aus der Perspektive der Polizei berichtet. Renées Kollege Inspecteur Paul Vegter übernimmt den Fall. Renée wohnt aus Angst vorübergehend bei Vegter. Es entwickelt sich eine langsame Liebesgeschichte zwischen den beiden, wobei der beträchtliche Altersunterschied und Vegters bei einem Unfall verstorbene Frau Stef im Weg stehen.

 

Die zweite Hauptstory handelt von John Verbruggen – er ist der Mörder. Seine Frau Vivienne leidet an einem verkrüppelten Bein, ist jedoch sehr reich. John versucht durch die Heirat und durch vorgespielte Zuneigung an das Geld heranzukommen. In Wahrheit hasst er seine Frau und findet sie ekelhaft, tut des Geldes wegen jedoch alles, um ihr ein liebevoller Ehemann sein, und das schon seit zwei Jahren, scheitert jedoch:

 

_Geld gab einem Kraft. Kraft und Macht. Nach zwei Jahren hatte er es sich redlich verdient. (S. 232)_

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Die Ermittlungen ergeben, dass John Verbruggen mit seinem Partner Pieter Vervaeke gemeinsam auf derselben Party gewesen ist, auf der auf Renée gewesen war. Vervaeke hatte sie dort kennengelernt und Interesse an ihr gezeigt, sie jedoch nicht an ihm. Der Überfall fand in der gleichen Nacht statt, Vervaeke kann jedoch nichts nachgewiesen werden. Die Vermittlungen verlaufen weiterhin im Sand.

 

Ein zweiter Mord wird begangen: Die rothaarige Detty Roemers stirbt und wird vollständig skalpiert. Hier wird der Mörder von einem jungen Pärchen beobachtet, das sich anfänglich aus Angst noch weigert, auszusagen.

 

Vivienne findet heraus, dass es sich bei dem Mörder um ihren Mann handeln muss – normalerweise ein Perfektionist, macht er mehr und mehr Fehler und verhält sich zu Hause seltsam. Sie erkennt das Warum: Es liegt ihm nichts daran, rothaarige Frauen zu töten – sein eigentliches Ziel ist Vivienne, ebenfalls rothaarig. Mit Hilfe der anderen beiden Frauen kann John eine Mordserie vortäuschen, zu deren Opfer auch Vivienne zählt. Dadurch will er an ihr Geld gelangen. Der Plan geht allerdings nicht auf, weil Vivienne den Spieß umdreht und ihm ihrerseits auflauert, als er ihr heimlich folgt – sie erschlägt ihn mit ihrem eigenen Gehstock.

 

Zur selben Zeit erhält die Polizei endlich die vollständige Zeugenaussage und kann John Verbruggen als Mörder entlarven – zu diesem Zeitpunkt hat jedoch seine eigene Ehefrau bereits dafür gesorgt, dass er seine gerechte Strafe erhält, und sich selbst angezeigt.

 

**2)      ** **Sprache und Stil**

 

Als LeserIn fällt auf, dass die Autorin sich Gedanken über ihre Formulierungen und die gewählte Sprache gemacht hat. Viele Passagen wirken wohlüberlegt und regelrecht komponiert. Auch die beiden Hauptstorys (Vivienne + John, Renée + Vegter) sind stilistisch völlig unterschiedlich geschrieben: Handelt es sich um Renée und Vegter, werden die Namen sofort genannt und die Handlung geht linear dahin, während bei Vivienne und John alles aus einer distanzierten Perspektive geschildert, die Namen erst spät im Text erwähnt und alles etwas verschlüsselt und vorsichtig dargelegt wird.

 

John Verbruggens Doppelleben – die Liebe zu Vivienne – wird sehr gut geschildert – die LeserInnen haben stets Einblick in seine Gedanken und Gefühle und wie angeekelt er in Wirklichkeit von all dem ist, was er für sie tut. Überhaupt erfordert eine solche Geschichte ziemlich viel Einfühlungsvermögen seitens der Autorin.

 

Lieneke Dijkzeul setzt sich in dem Roman ständig mit dem Fortgang und der Entwicklung der modernen Gegenwartssprache auseinander. Sie nennt „Modewörter“ und lässt die Protagonisten darüber sprechen, was bloß aus den guten alten Begriffen geworden ist:

 

_Risikoreich. […] Wieso sagte er nicht einfach riskant? (S. 63)_

_„Das ist doch absurd. Eigentlich ein Modewort, finden Sie nicht, Vegter? […]“ (S. 92)_

_„Ist das eine … Diskothek?“ Warum hieß eine Diskothek bei ihm immer noch Tanzlokal? Der Knirps würde das Wort nicht mal kennen. (S. 168)_

 

**3)      ** **Kritik**

 

Der Thriller kann nicht als typischer Vertreter des Krimi-Genres gelten. Die Spannung liegt nicht darin, zu erfahren, wer der Mörder ist, sondern ausschließlich im „Warum“, da der Mörder den LeserInnen von Anfang an bekannt ist. Zudem wird die Sinn- und Hilflosigkeit des Polizeiapparats deutlich gemacht, denn John wird verhört, ohne dass die Ermittler den Täter in ihm erkennen können. Auch wird die Spannung dadurch erhalten, dass man auf den Weitergang der Liebesgeschichte zwischen Renée und Vegter wartet, die jedoch mehr oder weniger in einer Enttäuschung endet.

 

Eigenartigerweise wird mehrmals auf dem Altersunterschied zwischen Renée und Vegter herumgeritten:

 

_Versuchte er, etwas zu erzwingen, wozu Renée noch nicht bereit war? Oder war der Altersunterschied an ihrer Entfremdung schuld? Vielleicht gehörte er doch schon zum alten Eisen. (S. 311)._

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Ich persönlich halte diese Tatsache als kein so großes Hindernis, wie es für die Autorin zu sein scheint. Eher wird meiner Meinung nach ein Grund gesucht, aus der allmählichen Annäherung dieser beiden Protagonisten nicht auch noch eine Liebesgeschichte entwickeln zu müssen, um das Buch zu einem schnellen Abschluss zu bringen.

 

Ein weiteres, meiner Einsicht nach störendes Element des Werks ist das durch den Mörder konstruierte Motiv – die Haare. Die Autorin lässt John Verbruggen die rothaarigen Frauen skalpieren, wodurch die besondere Brutalität und Handschrift des Mörders festgelegt werden soll. Die Polizei und vor allem die feminine Öffentlichkeit halten ihn dadurch für einen bestialischen und psychisch abnormen Charakter. Ich persönlich jedoch bin der Ansicht, dass Frauen dadurch viel zu sehr auf ihre Haare reduziert werden, die für die Autorin scheinbar so wichtig sind, dass man durch eine teilweise Skalpierung nicht mehr als vollwertiger Mensch gelten kann:

 

_„Darf ich dich fragen, warum du beschlossen hast, deine Beobachtung doch noch zu melden?“ „Weil … Ich musste andauernd an dieses Mädchen denken.“ Sie sah ihn mit einem Blick an, der plötzlich gar nichts Kindliches mehr hatte. „An ihre Haare. Dieses Arschloch! Er sollte die Todesstrafe bekommen.“_

_„Womit unsere Annahme bewiesen wäre“, sagte Vegter, als er wieder hereinkam. „Was für eine Annahme?“ „Dass Haare für Frauen sehr wichtig sind.“ (S. 269 f.)_

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Womit man sich als Frau und Leserin vielleicht doch ganz gut auseinandersetzen und identifizieren kann, ist die Tatsache, dass sich Vivienne einem Emanzipationsprozess unterzieht. Als sie feststellt, dass John ein Doppelleben führt und nur an ihr Geld will, lernt sie endlich, als selbstständiges Wesen zu leben und sich von der Abhängigkeit von ihrem Mann zu lösen. Diese persönliche Entwicklung kann als einzig bedeutsames Element des Krimis gelten.

 

Der gesamte Handlungsverlauf des Thrillers ist nur wenig überraschend – er verläuft so linear, dass man als LeserIn versucht ist, Überraschungen selbst dort zu suchen, wo keine sind und keine kommen. Ich persönlich hoffte auf eine Verbindung zwischen der kranken Liesbeth und Talsmas krebskranken Frau, jedoch wird später deren Name – Akke – genannt, womit auch hier keine überraschenden Hintertürchen geöffnet werden.

 

Ab dem Zeitpunkt, wo Vivienne erkennt, _warum_  John die Morde begeht, ist das Buch eigentlich zu Ende, obwohl man sich erst auf S. 236 von 331 Seiten befindet. Bis dahin hält man John einfach für psychisch abnorm und wird durch die Erzählweise auch nicht dazu angehalten, nach dem Warum zu suchen – eine psychische Abnormität ist für die LeserInnen völlig in Ordnung. Dass alles einen tieferen Sinn hatte, kann einen zu diesem Zeitpunkt nicht mehr sonderlich überraschen.

 

 **4)      ** **Empfehlung**

 

Man kann nicht sagen, dass der Thriller langweilig oder schlecht geschrieben wäre. Allerdings: Das niederländische _Dagblad von het Noorden_ behauptet, Dijkzeul hätte sich mit diesem Krimi selbst übertroffen. Inhaltlich gesehen kann es sich dabei nur um eine wohlgemeinte Übertreibung handeln – vielleicht jedoch meinte das _Dagblad_ die Fähigkeit und Kunstfertigkeit der Autorin, sich sprachlich in einen Charakter mit verschiedenen Persönlichkeiten hineinzuversetzen, was durchaus gelungen ist.

Dennoch sollte man sich darüber bewusst sein, dass man sich auf eine lineare und in keiner Weise überraschende Handlung einlässt. Man sollte also nicht enttäuscht sein, wenn man Spannung erwartet und keine vorfindet.