Geschichtete Geschichten oder Die Entschleunigung des Lebens

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laleli Avatar

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Suchende sind sie, die Gestalten aus Jakob Heins Buch, dessen einzelne Episoden wie die Schalen einer Zwiebel über einander liegen und in jeder dieser Geschichten wird die nächste erzählt: Geschichten erzählt in Geschichten, Schicht für Schicht.

Da haben wir Boris, den Inhaber der Agentur für verworfene Ideen, der für Rebecca einen Romananfang erzählt, denn nur so kann er Rebecca, die Frau seiner Träume, halten und wenigstens für eine Nacht an sich binden.

Dieser Roman nun handelt von Sophia, der lebensmüden Gedankenleserin, die ihre Geschichte in der letzten Nacht ihres Lebens ihrem Retter, der an ihrem Bett wacht, anvertraut.

Sophia wiederum war die Zuhörerin des alten blinden Schriftstellers, der ihr seinen letzten Roman diktiert. Dieser – und damit befinden wir uns im Innersten der Zwiebel, im „Kern des Pudels“, sozusagen – ist eine Abwandlung des Faust-Themas: Heiner (die Ähnlichkeit zum Namen des Autors ist wahrscheinlich nicht ganz zufällig), der ewig suchende Gelehrte, der dem Kern der Dinge auf die Spur kommen möchte und der ewigen Ablenkungen der Oberflächlichkeit unserer Zeit überdrüssig ist, schließt einen Pakt mit dem Teufel: Er will an einem Ort ohne Ablenkungen in Ruhe seine Studien beenden. Jedoch der Teufel bringt ihn nicht nur an einen ruhigen Ort, er versetzt ihn in einer Zeitreise auch noch ins 15. Jahrhundert, eine Zeit ohne Fernsehen, Internet und sogar ohne Strom. Bei Kerzenlicht und ohne nennenswerten Kontakt zur Außenwelt kommt Heiner zwar dem Abschluss seiner Studien sehr nahe, glücklich ist er jedoch auch nicht, er fühlt sich nicht mehr als Teil der Menschheit.

Wie man die Langsamkeit und Nachhaltigkeit des Lebens für sich entdecken und verwirklichen kann, wie man aus verschiedenen Lebensentwürfen den einen Richtigen für sich finden kann, das ist das große Thema dieses Buches. Auf der einen Seite stehen die Hast unseres Alltags, die Informationsflut und die Flüchtigkeit und Nachlässigkeit, mit der wir durch unser Dasein hetzen. Viele Ideen, die wir im Laufe unseres Lebens haben, werden achtlos verworfen und keine Agentur bewahrt sie für uns auf. Auf der anderen Seite stehen unsere Träume und Sehnsüchte, die wir oft systematisch übergehen.

Aber Hein zeigt sie uns, die kleinen Nischen der Träume, der Ruhe und Langsamkeit: Wir dürfen Boris in seiner Agentur der verworfenen Ideen besuchen und können mit Rebecca einen sorgfältig gekochten Tee genießen, wir dürfen mit davon träumen, einen kleinen Plattenladen zu eröffnen oder eine Bäckerei mit liebevoll gebackenen Brötchen und mancher von uns hat möglicherweise tatsächlich Freunde, mit denen man ungezwungen lachen, kochen und sich bekleckern kann oder vielleicht schaffen wir es auch dann und wann, einen ebenso perfekt zubereiteten Kaffee zur trinken wie Heiner.

Oder wir nehmen ganz einfach ein Buch zur Hand, eines wie das ihre, Herr Hein und lassen uns von Scheherazade und ihren Nachkommen entführen in die Welt der 1001 Geschichten…