Unterhaltsam, aber nicht zwingend preisverdächtig
Jean-Baptiste Andreas Roman »Was ich von ihr weiß« (Originaltitel: Veiller sur elle, also »Pass auf sie auf«) wurde 2023 mit dem renommierten Prix Goncourt ausgezeichnet und hat sich in Frankreich zum Bestseller entwickelt – über 700.000 verkaufte Exemplare sprechen eine deutliche Sprache. Endlich genießt mal wieder ein europäischer Roman einen beispiellosen Erfolg, darauf haben wir lange warten müssen! Nun liegt das Werk endlich auch in deutscher Übersetzung vor, und es ist zweifellos ein dramatischer und unterhaltsamer, wenn auch in mancher Hinsicht konventioneller Roman über Liebe, Kunst und das Ringen um Freiheit im Schatten großer Umbrüche des 20. Jahrhunderts.
Im Mittelpunkt steht Michelangelo „Mimo“ Vitaliani, ein kleinwüchsiger Junge aus armen Verhältnissen, der in der Werkstatt seines Onkels in einem ligurischen Dorf das Handwerk des Bildhauers erlernt. Dort begegnet er Viola Orsini – einer Adelstochter mit Freiheitsdrang und einem rebellischen Geist, der sich nicht so recht in die gesellschaftlichen Vorgaben ihrer Zeit fügen will. Zwischen Mimo und Viola entspinnt sich eine lebenslange, von tiefer Verbundenheit und immer wieder neuen Trennungen geprägte Beziehung. Die beiden durchqueren zusammen, getrennt und doch innerlich stets verbunden, die dramatischen Etappen der ersten Jahrhunderthälfte – Erster Weltkrieg, den Aufstieg des Faschismus, den Zweiten Weltkrieg, den gesellschaftlichen Wandel, wobei Mimos Weg zum gefeierten Künstler konsequent im Zentrum steht.
Die große Stärke des Romans liegt im emotionalen Spannungsbogen, der sich durch Rückschläge, Sehnsüchte, Versöhnungen und Verluste zieht. Andreas Sprache ist zugänglich, jedoch nicht unbedingt präzise, und noch weniger poetisch oder sonst in irgendeiner Art ausgefeilt und markant. Er beschreibt, was man als Leser sehen und fühlen soll – nicht mehr, aber auch nicht weniger. Als Unterhaltungsroman funktioniert das Buch hervorragend – die Leserinnen und Leser werden mitgerissen und an einigen Stellen sogar berührt. Und doch bleibt ein gewisser Vorbehalt. Wer angesichts des Prix Goncourt ein literarisch tiefschürfendes Werk mit komplexer Figurenpsychologie und einem vielschichtigen historischen Panorama erwartet, könnte enttäuscht werden. Zwar berührt der Roman große Themen – soziale Ungleichheit, weibliche Emanzipation, politische Umbrüche – doch selten geht er wirklich in die Tiefe. Die historischen Entwicklungen wirken häufig wie Kulisse für das eigentliche Drama: das Leben und Lieben von Mimo und Viola. Gerade Violas Figur hätte dabei mehr Raum verdient. Ihre Sehnsucht nach Freiheit, ihr Aufbegehren gegen Konventionen, ihr Streben nach Unabhängigkeit – all dies wird angerissen, aber nie konsequent ausgearbeitet. Sie bleibt über weite Strecken Projektionsfläche für Mimos Gefühle und ist somit letztlich weniger eine eigenständige Protagonistin als vielmehr eine museale Erscheinung (wenngleich ich die Gerüchte um sie als »Bärin« durchaus amüsant und einfallsreich fand). Auch Mimos Darstellung als genialer, kleinwüchsiger Künstler, der sich gegen alle Widerstände durchsetzt, erinnert stellenweise eher an das Drehbuch eines Hollywoodfilms als an eine realistische Charakterstudie. Die Konstellation – armes Genie trifft auf reiches, freiheitsliebendes Mädchen – bedient bekannte Erzählmuster, die den Roman gelegentlich klischeehaft wirken lassen.
Hinzu kommt, dass trotz der italienischen Schauplätze das kulturelle Flair des Landes nur bedingt zum Tragen kommt. Die Atmosphäre wirkt über weite Strecken generisch und kaum durchdrungen von einer authentisch-italienischen Färbung. Auch das Handwerk der Bildhauerei, das so zentral für Mimos Identität ist, bleibt eher symbolisch als handwerklich greifbar.
Kurzum: »Was ich von ihr weiß« ist eine mitreißende Geschichte über das Ringen zweier Menschen um Selbstbestimmung, Würde und Liebe. Doch bei aller emotionalen Wucht mangelt es ihm an Tiefe und Originalität in der Figurenzeichnung wie auch in der thematischen Ausarbeitung. Als großes Epos über das 20. Jahrhundert wirkt er zu gefällig, als literarische Ausgrabung seelischer Wahrheiten zu vorsichtig und oberflächlich. Dass er dennoch unterhält, liegt vor allem an Andreas Gespür für dramatische Erzählmomente und emotional dichte Szenen. Ob das allein für einen Literaturpreis wie den Prix Goncourt reicht, darf man indes mit einigem Recht hinterfragen.
Im Mittelpunkt steht Michelangelo „Mimo“ Vitaliani, ein kleinwüchsiger Junge aus armen Verhältnissen, der in der Werkstatt seines Onkels in einem ligurischen Dorf das Handwerk des Bildhauers erlernt. Dort begegnet er Viola Orsini – einer Adelstochter mit Freiheitsdrang und einem rebellischen Geist, der sich nicht so recht in die gesellschaftlichen Vorgaben ihrer Zeit fügen will. Zwischen Mimo und Viola entspinnt sich eine lebenslange, von tiefer Verbundenheit und immer wieder neuen Trennungen geprägte Beziehung. Die beiden durchqueren zusammen, getrennt und doch innerlich stets verbunden, die dramatischen Etappen der ersten Jahrhunderthälfte – Erster Weltkrieg, den Aufstieg des Faschismus, den Zweiten Weltkrieg, den gesellschaftlichen Wandel, wobei Mimos Weg zum gefeierten Künstler konsequent im Zentrum steht.
Die große Stärke des Romans liegt im emotionalen Spannungsbogen, der sich durch Rückschläge, Sehnsüchte, Versöhnungen und Verluste zieht. Andreas Sprache ist zugänglich, jedoch nicht unbedingt präzise, und noch weniger poetisch oder sonst in irgendeiner Art ausgefeilt und markant. Er beschreibt, was man als Leser sehen und fühlen soll – nicht mehr, aber auch nicht weniger. Als Unterhaltungsroman funktioniert das Buch hervorragend – die Leserinnen und Leser werden mitgerissen und an einigen Stellen sogar berührt. Und doch bleibt ein gewisser Vorbehalt. Wer angesichts des Prix Goncourt ein literarisch tiefschürfendes Werk mit komplexer Figurenpsychologie und einem vielschichtigen historischen Panorama erwartet, könnte enttäuscht werden. Zwar berührt der Roman große Themen – soziale Ungleichheit, weibliche Emanzipation, politische Umbrüche – doch selten geht er wirklich in die Tiefe. Die historischen Entwicklungen wirken häufig wie Kulisse für das eigentliche Drama: das Leben und Lieben von Mimo und Viola. Gerade Violas Figur hätte dabei mehr Raum verdient. Ihre Sehnsucht nach Freiheit, ihr Aufbegehren gegen Konventionen, ihr Streben nach Unabhängigkeit – all dies wird angerissen, aber nie konsequent ausgearbeitet. Sie bleibt über weite Strecken Projektionsfläche für Mimos Gefühle und ist somit letztlich weniger eine eigenständige Protagonistin als vielmehr eine museale Erscheinung (wenngleich ich die Gerüchte um sie als »Bärin« durchaus amüsant und einfallsreich fand). Auch Mimos Darstellung als genialer, kleinwüchsiger Künstler, der sich gegen alle Widerstände durchsetzt, erinnert stellenweise eher an das Drehbuch eines Hollywoodfilms als an eine realistische Charakterstudie. Die Konstellation – armes Genie trifft auf reiches, freiheitsliebendes Mädchen – bedient bekannte Erzählmuster, die den Roman gelegentlich klischeehaft wirken lassen.
Hinzu kommt, dass trotz der italienischen Schauplätze das kulturelle Flair des Landes nur bedingt zum Tragen kommt. Die Atmosphäre wirkt über weite Strecken generisch und kaum durchdrungen von einer authentisch-italienischen Färbung. Auch das Handwerk der Bildhauerei, das so zentral für Mimos Identität ist, bleibt eher symbolisch als handwerklich greifbar.
Kurzum: »Was ich von ihr weiß« ist eine mitreißende Geschichte über das Ringen zweier Menschen um Selbstbestimmung, Würde und Liebe. Doch bei aller emotionalen Wucht mangelt es ihm an Tiefe und Originalität in der Figurenzeichnung wie auch in der thematischen Ausarbeitung. Als großes Epos über das 20. Jahrhundert wirkt er zu gefällig, als literarische Ausgrabung seelischer Wahrheiten zu vorsichtig und oberflächlich. Dass er dennoch unterhält, liegt vor allem an Andreas Gespür für dramatische Erzählmomente und emotional dichte Szenen. Ob das allein für einen Literaturpreis wie den Prix Goncourt reicht, darf man indes mit einigem Recht hinterfragen.