Liebende?

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timphilipp Avatar

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Das hochwertig verarbeitete Cover erregt Aufmerksamkeit. Auf ihm wird Jarek Puczels Bild „Die Liebenden II“ verwendet. Der Titel ist in Glanzbuchstaben geprägt.
Natürlich sollen „Die Liebenden“ die Protagonisten Anna und Ludwig darstellen. Doch gehen die beiden überhaupt eine solch enge Symbiose ein? Meiner Meinung nach nein: Zu verschieden sind ihre Charaktere und ihre Herkunft. Ludwig ist Intellektueller, hat promoviert, ist Redakteur eines Hamburger Gesellschaftsmagazins, auf Macht und Erfolg aus, führt ein oberflächliches Leben, für ihn zählen nur angesagte Musik und Kleidung. Hinzu kommen seine Gefühlskälte und seine Unfähigkeit zu lieben. Von Annas problembehaftetem Leben will er gar nichts wissen, so dass sie es ihm einfach verschweigt – den Selbstmord ihres Vaters, an dem sie sich mitschuldig fühlt; die Pflegebedürftigkeit ihrer daran depressiv gewordenen Mutter; ihr eigenes ruheloses In-die-Welt-ziehen mit Kontakt zu Drogen und Kriminalität.
Warum Anna dennoch von Ludwig fasziniert ist und ihn wirklich liebt, bleibt des Lesers Vermutungen überlassen: Will sie ihre Vergangenheit endlich hinter sich lassen und jetzt „dazugehören“ in der „angesagten“ Welt? Darauf deutet hin, dass sie sich äußerlich komplett Ludwigs Wünschen anpasst – sie trägt coole Turnschuhe, zupft sich die Augenbrauen, hungert sich bis zum Model-Gewicht. Nur ihre inneren Werte verleugnet sie nicht: Sie kümmert sich nach wie vor hingebungsvoll um ihre psychisch kranke, im Altersheim lebende Mutter.
Im Roman ist nur wenig Handlung. Diese beschränkt sich auf die Zeit zwischen der Trennung Ludwigs und Annas am Vormittag bis zur folgenden Nacht, in der Anna an Ludwigs Bett sitzt, nachdem er (in Suizidabsicht?) Schlaftabletten genommen hat. Leben erlangt die Erzählung durch die vielen Rückblenden auf Annas Vergangenheit. Sie gliedert sich in zwei Teile – „Die Nacht“ (S. 7-48) und „Der Tag zuvor“ (S. 49-223). Die Teile unterscheiden sich sprachlich voneinander. Im ersten Teil richtet Anna als Ich-Erzählerin einen Monolog an Ludwig. Im zweiten Teil wechselt die Erzählperspektive in die dritte Form.
Das Buch liest sich zwar leicht, aber nicht mal so eben. Einige Passagen musste ich zweimal lesen, so gehaltvoll sind sie. Dem Leser wird thematisch keine leichte Kost vorgesetzt. Am Ende bleiben viele Fragen offen, die sich am Anfang der Lektüre stellten. Das dürfte aber voll und ganz der Absicht der Autorin entsprechen.
Ein ungewöhnlicher, zum Nachdenken anregender und deshalb zu empfehlender Roman.