Vom glücklichsten Mädchen der ganzen Ostsee

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barbarella Avatar

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Rezension: Wenn wir wieder leben – Charlotte Roth

Gestaltung:
Wer die Romane von Charlotte Roth kennt und vielleicht schon das eine oder andere Buch von ihr im Regal stehen hat, der wird wissen, dass sich die Gestaltung des Covers auch diesmal am Schema seiner Vorgänger orientiert. Die große Ähnlichkeit der Buchcover gehört für mich mittlerweile wie eine Art Visitenkarte zu den Romanen von Roth dazu und lässt mich im Buchladen sehr präzise danach greifen, auch wenn sie insgesamt eher schlicht gehalten sind.
Im Vordergrund steht eine hübsche junge Frau mit Hut, die in eine rote Bluse gekleidet ist. Sie ist definitiv der Blickfang des Covers und hebt sich deutlich von dem in Sepia gehaltenem Hintergrund, einer Fotographie vom Ostseebad Zoppot, ab.

Inhalt:
Sommer 1927 - Januar 1944: Gundi ist das glücklichste Mädchen von der ganzen Ostsee. Sie hat ihren Großvater, den sie liebevoll Pop nennt, ihre Tante Karl, die Lebensgefährtin des Opas, die in Zoppot die Pension „Sonnenschein“ betreibt, ihre schüchterne Halbschwester Lore und Zoppot, den schönsten Ort der Welt. Genau hier entdeckt Gundi ihre Liebe zur Musik. Genau hier treffen sie und Lore auf Julius und Erik. Genau hier beginnt für die Vier, nach Jahren der scheinbar hoffnungslosen Bemühungen, der Hochs und Tiefs ihrer Freundschaft, eine steile Musikkarriere auf dem Luxuskreuzfahrtschiff „Wilhelm Gustloff“ der nationalsozialistischen Organisation KdF. Doch mit Ruhm und Erfolg wachsen auch die Probleme und Streitigkeiten innerhalb der Gruppe. Wer wird am Ende auf welcher Seite stehen, wenn die Deutschen unter Hitler in Polen einfallen?
Herbst 1963 – 1964: Die junge Wanda führt ein ruhiges Leben zusammen mit ihren beiden Schwestern Vera und Ariane, der Mutter, von ihr stets „Matti“ genannt, und der Tante namens Lore. Doch als Wanda den Studenten Andras kennenlernt, der Zeugenaussagen und Beweise gegen die Beteiligten am NS-Regime sucht, beginnt sie sich mit ihrer eigenen Vergangenheit auseinanderzusetzen und ihrer Matti unangenehme Fragen zu stellen: Warum rollt sie beim Sprechen das „R“ immer so komisch? Wieso sagt sie „Matti“ und nicht „Mutti“? Weshalb gibt es Zuhause Gerichte wie Piroggen und Flinsen? Und was hat es eigentlich mit ihrem Geburtsort Zoppot auf sich? Fragen über Fragen, doch ihre Familie schweigt – bis es zu einem schrecklichen Vorfall kommt, der Wanda dazu zwingt, zum Ort ihrer Geburt zurückzukehren. Welches schreckliche Geheimnis will ihre Familie ihr vorenthalten?

Historischer Hintergrund:
Der Roman liefert dem Leser viele historische Fakten zur Geschichte des Seebades Zoppot, das in der Danziger Bucht im polnischen Pommern liegt. Wir lernen u. a. die lokale Pferderennbahn und das Grand Hotel mit Spielcasino kennen. Außerdem erleben wir Schwimmveranstaltungen und Segelregatten mit, die alljährlich die Bade- und Kurgäste unterhielten.
Wer sich für die Geschichte Danzigs interessiert und mehr über die Rolle der Woiwodschaft Pommerns im 2. Weltkrieg erfahren möchte, kommt bei diesem Roman voll auf seine Kosten. Der Leser erlebt den Aufstieg der NSDAP und die damit verbundenen Folgen für Zoppot und Umgebung hautnah mit. Er erfährt, wie die dort Heimischen immer mehr in zwei Lager gespalten und wie aus Freunden Feinde werden, wenn es darum geht, die eigenen Lieben in Sicherheit zu bringen, als im Jahre 1939 die Deutschen in Polen einfallen und Danzig zur Wiedervereinigung mit dem Deutschen Reich zwingen.

Charaktere:
Charlotte Roth hat in ihrem Roman eine bunte Vielfalt an Charakteren entworfen, die mir insgesamt sehr gut gefallen hat. Besonders Gundis Großvater „Pop“ mit seinem wunderbaren Missingsch ist mir sehr ans Herz gewachsen. Die Hauptperson Gundi selbst jedoch ist mir mit ihrer quirligen, naiven, ja rücksichtslosen Art und Weise im Laufe der Geschichte ziemlich auf die Nerven gegangen. Ein Verhalten, das man bei Kindern vielleicht noch als unbedarft bezeichnen würde, wird fast bis zum Schluss der Geschichte nicht abgelegt und führt in so manche Misere, nicht nur für sie selbst, sondern auch für ihre Mitmenschen.

Schreibstil:
Da die Geschichte auf zwei Zeitebenen verläuft, begleitet der Leser Gundi und Wanda abwechselnd. Mit Wanda geht der Leser auf die Suche nach der Vergangenheit ihrer Familie in Zoppot, während er mit Gundi eben diese Vergangenheit vor Ort durchlebt. Eine Besonderheit, die mich persönlich sehr erfreut hat, ist die Mischsprache „Missingsch“, die von einigen deutschen Danzigern im Roman gesprochen wird. Da auch mir ein Großteil der genutzten Vokabeln fremd war, finde ich das angehängte Glossar wirklich sehr nützlich, da es das Lesen sehr erleichtert.

Fazit
Auf Charlotte Roth ist immer Verlass. Da ihr Roman „Als der Himmel uns gehörte“ aus dem Jahr 2015 zu meinen Lieblingsbüchern zählt, freue ich mich immer auf neuen Lesestoff von ihr. Und ich wurde auch diesmal nicht enttäuscht. Die Beschreibungen von Zoppot mit seinem Strand und dem Meer haben mir zeitweise Fernweh bereitet und ich habe mich neben Gundi in den Sand gewünscht, um ihr, Lore, Erik und Julius beim Musizieren zuzuhören. Abgesehen davon habe ich viel über die Zustände und Ereignisse in und um Danzig im 2. Weltkrieg gelernt. Toller Roman - kann ich jedem nur ans Herz legen, der Spaß an Fiktion vor realem historischen Hintergrund hat.