"Was habt ihr getan?"

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Meine Freude war groß, als ich zu Beginn des Jahres gesehen habe, dass ein neues Buch von Charlotte Roth erscheinen wird. Sie ist eine Autorin für mich, die absolute Herzensbücher schreibt. Dies liegt zum einen daran, dass sie es vermag immer wieder Charaktere zu zeichnen, die nicht nur schwarz oder weiß sind, sondern viele Grauschattierungen haben und zum anderen auch daran, dass sie ihre Geschichten immer in ein sehr spezielles Setting setzt. Sie schneidet oft Themen an, die man so selten in einem Roman liest und betreibt dafür auch eine offensichtliche akribische Recherche. So auch in ihrem neuesten Werk „Wenn wir wieder leben“.

Sie erzählt darin die Geschichte von Gundi, einer jungen Deutschen, die jeden Sommer mit ihrem Großvater, den sie liebevoll Pop nennt, und ihrer Schwester Lore, bei ihrer Tante in Danzig und Zoppot verbringt. Dort lernen die beiden Mädchen Erik und Julius kennen. Allen vieren ist gleich, dass sie sich für Musik interessieren und sie davon träumen ihren Durchbruch als Musiker zu schaffen. Jahre später gelingt ihnen dies und sie bekommen Auftritte auf dem Luxusschiff Wilhelm Gustloff – ein Passagierschiff, welches bereits unter der Nationalsozialistischen Flagge reist. Die vier wollen allerdings nicht wahrhaben, dass sie Nazis bereits das Ruder in Europa an sich reißen. Gundi verliebt sich in Tadek, der sich, als der Zweite Weltkrieg ausbricht, dem polnischen Widerstand anschließt. Wie kann eine Liebe zwischen einer Deutschen und einem Polen da standhalten? Jahre später macht sich die junge Wanda in dem geteilten Europa auf eine Spurensuche, die ungeahntes zu Tage fördert.

Mit den zwei Erzählsträngen, einer dreht sich um Gundi, der andere um Wanda, bleibt sich die Autorin in ihrem Stil mehr als treu. Auch damit, dass die Charaktere in der jüngeren Vergangenheit (Wandas Erzählstrang spielt im Jahr 1963) die Geschehnisse der ganzen Erzählung in Gang bringen, ist ein gewisses Wiedererkennungsmerkmal ihrer Romane. Dabei wirken die beiden Erzählstränge zu Beginn eher kaum zusammenhängend und erst im Laufe des Lesens fallen diese Zusammenhänge auf, die aber immer logisch erscheinen und auch gut verknüpft werden.

Zu Beginn des Buches begegnen wir Wanda, die auf der Universität auf Andras trifft, der es sich zum Ziel gesetzt hat, herauszufinden, was die breite Massen der Deutschen in den Jahren des Zweiten Weltkriegs unternommen hat um den Massenmord der Juden oder generell die Politik der Nazis zu verhindern. Getrieben wird er dadurch, dass er selbst Jude ist und vieler seiner Verwandten im KZ Ausschwitz zu Tode gekommen sind. Er steckt Wanda mit seiner Idee an, die bei ihrer Mutter, die sie liebevoll Matti nennt, beginnt. Sie fragt sie rundheraus, was sie in der Zeit, als die Nationalsozialisten am Ruder waren, unternommen hat um deren Politik zu verurteilen. Sie löst damit eine ungeahnte Reaktion von Seiten ihrer Mutter aus. Wanda reist nach Danzig, das mittlerweile den polnischen Namen Gdansk trägt, um sich ihrer Vergangenheit zu stellen. Währenddessen macht die Geschichte einen Zeitsprung in die 1920er Jahre. Schauplatz: Die freie Stadt Danzig, in der Polen und Deutsche nach dem Krieg scheinbar friedlich zusammenlebten, aber auch hier machen die Parolen der aufstrebenden Nazis nicht halt und Zwietracht beginnt sich einzuschleichen. Gundi ist mittendrin, aber sie bekommt von den politischen Umwälzungen nichts mit, weil sie es gar nicht will. Sie ist Gundi Sonnenschein und hatte in ihrem Leben nur Glück. Dass besagte Gundi die Mutter von Wanda ist, erschließt sich dem Leser sehr rasch. Ich persönlich hatte aber immense Probleme, in der Gundi der 1920er Jahre die „Matti“ von Wanda zu sehen. Das hat seinen Grund! Dieser wird aber erst in den letzten Kapiteln des Buches aufgelöst und mit dieser Auflösung hätte ich niemals gerechnet. Und auch mit diesem Überraschungsmoment bleibt sich die Autorin wieder treu.

Was nun die Personen selbst betrifft, die ich, wie bereits erwähnt, in Charlotte Roths Romanen immer sehr schätze, weil sie eben diese vielen Grauschattierungen haben, so muss ich gestehen, dass ich mich in diesem Buch mit ihnen sehr schwer tat. Ich muss Figuren in einem Buch nicht auf Anhieb sympathisch finden oder ich muss sie auch gar nicht sympathisch finden, aber sie brauchen immer das gewisse Etwas, damit ich sie wenigstens erfassen kann. Bei Gundi ist mir das bis zum Ende nicht wirklich gelungen. Dass sie eine unbeschwerte Jugend haben durfte, dafür konnte ich mich für sie wirklich freuen, dass sie aber so überhaupt kein Interesse an den Tag legte, was so rund um sie geschah, wenn es nicht unmittelbar ihren Pop betraf, schockierte mich ein wenig. Sie war extrem naiv und an vielen Stellen hatte ich den Eindruck, dass sie nur auf ihren eigenen Vorteil bedacht war. Sie spielt mit ihren beiden Freunden Erik und Julius, die beide in sie verschossen sind und ihre Schwester Lore, die sie, wie sie immer wieder beteuert, über alles liebt, bleibt irgendwie immer in ihrem Schatten. Speziell für Lore hätte ich mir wirklich mehr Platz in dem Buch gewünscht, irgendwie fiel das Licht aber ausschließlich auf Gundi. Auch als sie sich in Tadek verliebt, der für mich mit ihr auf absoluter Augenhöhe war, bleibt auch dieser sehr im Hintergrund. Gundi war für mich, wie die Sonne, um die alle Planten kreisen und die alles überscheinen musste. Natürlich ist mir klar, dass dies ein Zug einer Hauptfigur sein muss, aber hier war es mir eindeutig zu viel. Im Gegensatz dazu waren Wanda und Andras für mich genau diese Figuren, die ich in Charlotte Roths Romanen so liebe. Sie kämpfen mit und für sich und warten nicht darauf, dass ihnen alles zugetragen wird, wie es bei Gundi nur zu oft der Fall war.

Was ich ausgesprochen interessant fand waren die Beschreibungen der politischen Lage in Danzig. Eine Stadt am Meer, die nach dem ersten Weltkrieg als Freie Stadt Danzig bezeichnet wurde, und unter der Aufsicht des Völkerbundes stand. Als Hitler an die Macht kam, wollte er um jeden Preis Danzig ins Reich zurückholen und hatte dabei Unterstützung des hiesigen Gauleiters Forster (eine historische Person, die auch in dem Roman eine Rolle spielt). Der Anschluss Danzigs an das Deutsche Reich und die Vertreibung der polnischen Bevölkerung gilt als Beginn des Zweiten Weltkriegs. Charlotte Roth beschreibt das historische Danzig und Zoppot nahezu als magischen Ort und als Leser hat man ständig den Wunsch in diese wunderschöne Stadt reisen zu wollen. Aber sie zeigt auch gleichzeitig die Härte dieser Zeit auf, wie etwa die Reichskristallnacht, die Enteignung polnischer Geschäftsleute, sowie die Vertreibung und Verschleppung zig Tausender Polen und auch die Vertreibung der deutschen Bevölkerung und dem Wiederaufbau der Stadt nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs.

Alles in Allem hat mir der Roman aber wieder dieses gewisse Lesevergnügen bereitet, das Charlotte Roth eben einfach bei mir schaffen kann. Ihr Schreibstil und ihre Recherche haben mich wieder in ihrem Roman versinken lassen, auch wenn ich mit Gundi als Figur an vielen Stellen nicht zurechtkam. Ich würde das Buch aber auf alle Fälle weiter empfehlen, besonders für eingefleischte Fans, aber auch für alle, die es noch werden wollen.