Wenn wir je wieder Freunde sein können...

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laberlili Avatar

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Wanda lebt im Jahre 1963 als 19jährige Studentin in Berlin, gemeinsam mit Mutter, Schwestern und Tante, als ein Kommilitone jüdischer Abstammung erklärt, er könne keine Freundschaften mit Gleichaltrigen schließen, solange er nicht wisse, ob deren Eltern, Großeltern… nicht Diejenigen waren, die seine Verwandten im 2. Weltkrieg ermordeten. Es sei Pflicht ihrer jungen Generation, zu fragen: „Was habt ihr zwischen 1933 und 1945 gemacht?“ und sich nicht abspeisen zu lassen. Wanda fragt nach, stößt auf Ablehnung und Entsetzen, beharrt aber darauf wissen zu wollen, was war, was dazu führte, dass sie nun in diesem familiären Frauenhaushalt lebt…
Parallel zu Wandas „Grabungen“ in ihrer Familienhistorie wird die Geschichte von Gundi ab Anbeginn der letzten 1920er Jahre erzählt, die zusammen mit ihrer Schwester Lore und den Freunden Erik und Julius mühsam eine musikalische Karriere startet, die letztlich Fahrt aufnimmt, als die Gruppe von Nazis höheren Ranges für sich entdeckt wird…

Die Liebe zwischen Gundi und Tadek, die in der Kurzbeschreibung doch recht auffällig herausgestellt wird, ist letztlich nur ein Nebenschauplatz, der relativ schnell zum Romanende hin abgehandelt wird und war, entgegen meiner Erwartungen, kein zentrales Thema der Erzählung, die sich eher auf Gundis Verhalten während der Zeit des Nationalsozialismus konzentriert. An einigen Stellen wird hier, selbst von Gundi, kommuniziert, dass sie nicht die Hellste sei: Das war sie definitiv wirklich nicht, und ich fand sie eine recht ärgerliche Figur.
Ich bin mir aber unsicher, ob ich die Geschichte nicht zuweilen auch einfach deswegen anstrengend und zermürbend fand, weil wir heutzutage ja ganz genau um den Holocaust wissen und es umso mehr nervte, wenn Gundi mal wieder beteuerte, nein, die verschwundenen Juden könnten doch nicht umgebracht worden sein; man könnte ohnehin niemand verhaften, der kein Verbrechen begangen hätte und nein, nein… Ich empfand sie zuweilen als so ignorant, so in ihrer eigenen Luftblase lebend, dass ich es teils unglaubwürdig fand, wie sie von der Deportation bedrohte Personen in ihrem Umfeld doch noch schützte, was allerdings eh nicht aus Menschlichkeit, Solidarität oder Widerstand heraus geschah, sondern vielmehr aus dem Egoismus, dass sie beispielsweise auf das polnische Kindermädchen nicht verzichten wollte. Ich mochte Gundi in ihrer Ignoranz nicht, die auch wenn sie gefragt wurde, was sie denn denke, was da los sei, nur bekundete, für Politik interessiere sie sich nicht. Gundi war der Proto-Typ des „Aber wir wussten doch von nichts; wie hätten wir das denn auch nur erahnen können?“-Mensch, den ich in diesem Fall besonders schlimm fand, da Gundi offensichtlich tatsächlich so blind war oder auch nur blind sein wollte.
So makaber das nun klingt: Mit der Machtergreifung Hitlers wurde die Geschichte aber zugleich „lebendiger“; den Anfang der alten Geschichte fand ich doch sehr langweilig und halt auch vor Allem langwierig. Gundi war ein fröhliches, verwöhntes Mädchen, von dem nichts erwartet wurde und das auch nicht viel mehr machte als auf die Eingebung zu dem einen Lied zu warten, was den Durchbruch ihrer kleinen Band bedeuten sollte. Dabei tat sie nach außen hin zwar sehr bemüht, versprach ihren Kollegen ständig DAS Lied, aber wirklich daran zu arbeiten schien sie nie. Eingangs passierte da nichts außer den Träumen und der Zuversicht, dass das mit der Musik schon werden würde, während ihre Bandkollegen teils noch wirklich sehr hart für ihren Lebensunterhalt arbeiten mussten ohne dass die in jener Hinsicht privilegierte Gundi sich deswegen je schlecht gefühlt hätte. Es war halt so… Für sie war es so, wie es war, und es blieb auch immer so, wie es nunmal just war… Sie fügte sich ein, reflektierte weder sich noch ihr Verhalten, blieb kritiklos und einfach nur abwartend.
Letztlich hoffte ich, dass ihre Beziehung zu Tadek, dem die Gegenwart vollauf bewusst war, ihr quasi den Kopf waschen würde, dass sie doch noch Stellung beziehen würde, aus ihrer Luftblase ausbrechen… Ich muss zugeben, dass mich das Ende der historischen Erzählung doch noch ein wenig überrascht hat; ich hätte dieses Familiengeheimnis hinter Wandas Biografie so nicht erwartet, bin aber auch uneins mit mir selbst, ob da nicht einfach die Resignation gewonnen hatte…

„Wenn wir wieder leben“ ist in jedem Fall ein sehr fordernder Roman; für mich klar lesens- und auch empfehlenswert. Aber der 1920er-Beginn war mir doch ein wenig zu langwierig, weswegen ich einen Stern abziehe; da ging die Handlung nur eher zäh voran. Charlotte Roth bezeichnet „Wenn wir wieder leben“ im Nachwort als ihren persönlichsten Roman und ich lese ihre Bücher wirklich gerne und auch wenn dies der bislang persönlichste Roman gewesen sein mag: Ihr bestes Werk war es für mich dennoch nicht.