Große Empfehlung!

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"Wie schön wir waren" von Imbolo Mbue, aus dem Englischen von Maria Hummitzsch, erschienen @kiwi_verlag

In Kosawa sterben die Kinder. Eins nach dem anderen fällt der Öl-Pipeline zum Opfer, deren Lecks das Trinkwasser vergiften und die Böden unfruchtbar machen. Doch regelmäßig kommen Vertreter des US-amerikanischen Pexton-Konzerns in das kleine Dorf im kamerunischen Regenwald, um die zunehmend panischen Bewohner mit Worthülsen abzuspeisen. Symbolischerweise ist es der Dorfnarr, der schließlich zum Widerstand trommelt. Kurzerhand werden die Abgesandten samt korruptem Bürgermeister in dessen Haus festgesetzt. Als eine der Geiseln stirbt, reagieren Konzern und Staat mit brutaler Polizeigewalt. Eine Tragödie ungeahnten Ausmaßes bricht über das Dorf herein...

Fiktiv? Mitnichten. Steht man in der kamerunischen Küstenstadt Kribi abends am Atlantikstrand, kann man draußen auf dem Meer die Lichter eines einwandigen Tankers sehen. Hier endet die mehr als 1000 km lange Pipeline, die von den Ölfeldern des Tschad quer durch den kamerunischen Regenwald, den Lebensraum der Pygmäen und parallel zu den großen Flüssen des Landes verläuft.
Der multinationale Konzern ist in der Realität etwas komplexer strukturiert und besteht aus ExxonMobile, ChevronTexaco und Petronas. Noch kann man auf der Webseite der Weltbank, die sich aufgrund der umstrittenen ökologischen und sozialen Bilanz inzwischen aus der Finanzierung zurückgezogen hat, all die Versprechen nachlesen, nach denen die Einnahmen in Infrastruktur, Gesundheit, Bildung etc. fließen sollte. Stattdessen Korruption in großem Stil, Raubbau an der Natur und Zerstörung von Lebensraum und Anbauflächen.

In Imbolo Mbues grandios epischem Roman tauchen wir tief in die Lebenswelt einer Dorfgemeinschaft ein, die verzweifelt, mutig und mit anrührender Hoffnung gegen ihre Auslöschung kämpft. Die mehrere Jahrzehnte umspannende Handlung wird aus der Sicht mehrerer Dorfbewohner, u.a. der "Kinder" geschildert, die im wirklichen Leben weder eine Stimme erhalten noch Gehör finden. Beispielhaft erleben wir in aller Konsequenz mit, was es bedeutet, auf der falschen Seite der Pipeline zu leben.
Mit der Hauptfigur der scheuen kleinen Thula, die sich in den USA zur kompromisslosen Kämpferin radikalisiert, entwickelt Imbolo Mbue in schmerzvoller, aber glaubhafter Konsequenz eine beeindruckende literarische Heldin.

Die detaillierten kulturellen Einblicke, die man nebenbei erhält, sind ein wahrer Schatz. Es geht auch um Freundschaft und Familiendrama, um Rollenbilder und Identität, Riten und Tradition, um Liebe und ganz und gar private Geschichten. Und es ist nicht zuletzt ein Buch, das die starken afrikanischen Frauen ins Licht rückt, die meist unbeachtet die Geschicke ihrer Gemeinschaften lenken.
Doch was mein Leserinnenherz höher schlagen ließ, weil ich selbst in Kamerun unterwegs war und solche Dörfer sah, mögen andere als langatmig empfinden, dessen bin ich mir bewusst. Der Roman weist durchaus Längen auf, da dieselben Geschehnisse oft von mehreren Protagonistinnen erzählt werden, ohne wirklich neue Perspektiven zu eröffnen. Die Lektüre braucht in jeder Hinsicht einen langen Atem. Auch, was den Umgang mit der eigenen Empörung angeht, die nur selten eine Pause erhält. Und vielleicht ist das auch gut so.
Große Empfehlung!!