Nicht in die Kurzfristfalle tappen!

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Das, was Pero Mićić mit seinem Buch „Wie wir uns täglich die Zukunft versauen“ sagen will, ist schnell zusammengefasst: Wir Menschen sind biologisch so angelegt, dass wir den kurzfristigen Erfolg dem langfristigen vorziehen, das ist aber in unserer komplexen Welt äußerst schädlich , weshalb wir unsere Einstellung so ändern sollten, dass wir langfristige Erfolge kurzfristigen vorziehen.

Die Kurzfristfalle nennt Mićić das Phänomen, dass Menschen kurzfristige Belohnungen den langfristigen vorziehen. Wer heute zehn Euro bekommen kann, wartet nicht darauf, morgen 11 Euro zu erhalten. Wohin die Kurzfristfalle führt, macht Mićić an vielen Beispielen deutlich: so führt er den Generationenvertrag bei der Rente an, von dem Mićić sagt, dass er nicht funktionieren kann, den Aralsee, der wider besseren Wissens austrocknet und auch das Rauchen, das man, obwohl man weiß, dass es schädlich für einen ist, nicht aufhört.

So kommt der Wirtschaftswissenschaftler zu der Erkenntnis, dass wir heute in einer „Kurzfristkultur“ leben, in der der Erfolg im Heute über allem steht, obwohl wir aber in unserer hochkomplexen Welt langfristige Denk- und Handlungskonzepte bräuchten. Das ist nichts Neues, und umso erstaunlicher ist, dass Mićić diese Erkenntnis auf über 200 Seiten ausbreitet, bevor er darlegt, wie die Kurzfristfalle umgangen werden kann. So wird aus der Stärke des Buches, dass Mićić sehr viele plastische Beispiele anführt, zugleich auch die Schwäche: Irgendwann hat man es satt, noch ein Beispiel dargelegt zu bekommen. Das kleinschrittige Vorgehen tut sein Übriges dazu. Nichtsdestotrotz überzeugen die Beispiele, nur selten wirken sie ein wenig überstrapaziert – so etwa in Blick auf Gründe und Ursachen des Jugoslawienkriegs, wo Mićić schreibt: „Das emotionale Belohnungssystem trieb die Menschen aus Angst vor ihren Brudervölkern dazu, ihr Wohlgefühl von Sicherheit und Stolz durch Zerstörung und Tötung wiederherzustellen.“ Das hätte man einfacher formulieren können. Die Erkenntnis, dass Kriege kurzfristigem Denken entspringen, ist sicherlich nicht falsch und es tut gut, sich dies wieder einmal bewusst zu machen. Allerdings passt Mićić alles seiner Theorie der Kurzfristfalle an: Drogenabhängigkeit etwa ist für ihn eine typische Kurzfristfalle, wo kurzfristige Belohnung gegen zukunftsgerichtete rationale Erwägungen steht. „Wir werden zukunftsdumm geboren“, nennt Mićić das.

Ein Teil der Lösung, die Mićić in seinem dritten Teil des Buches vorstellt, ist altbekannt: sich selbst für langfristige Ziele belohnen, um das Belohnungssystem der Kurzfristfalle zu übertölpeln. Sich von anderen kontrollieren lassen, um Ziele zu erreichen. Dies bettet Mićić allerdings in ein System ein, das von einem zu entwickelnden „Future Me“ zu einem „Future We“ wird. Interessant dabei ist, dass Mićić hier vor allem in der Wirtschaft und kaum in der Politik Chancen der Verwirklichung sieht. Unternehmen würden immer mehr erkennen, dass sie durch langfristiges Handeln erfolgreicher werden – in der Politik sei dies kaum der Fall.

Hilfreich sind in dem Buch die kurzen Zusammenfassungen zentraler Aussagen in ein bis zwei Sätzen und am Ende der drei Großkapitel die thesenartige Darstellung des Gesagten, sodass man einzelne Passagen des Buches auch überfliegen kann, ohne Wesentliches zu versäumen.