Das Verschweigen des Eigentlichen

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"Wir hätten uns alles gesagt" ist das Buch gewordene Ergebnis der Frankfurter Poetikvorlesungen der Autorin und deshalb mehr als eine Erzählung und weniger als ein Roman: Es ist ein Text darüber, wie die Autorin schreibt. Und das macht sie, wie man es von ihr gewöhnt ist, mit einem wunderbare leichten Ton, der eine Art durchsichtige Wand zwischen Leser und Gelesenem zieht, bei der alles sichtbar und vorstellbar ist und gleichzeitig irgendwie bunter und bedeutungsvoller wirkt. "[D]as ist, was ich schreibe: Ich schreibe über mich. Ich schreibe am eigenen Leben entlang, ein anderes Schreiben kenne ich nicht" (S. 15). Ich finde es anregend, dass Judith Hermann diese Plattitüde ausspricht und gleichzeitig deutlich macht, dass sie an ihrer Wirklichkeit nur entlang geht - also daneben. Das Spiel mit der Authentizität ist bei ihr eine Näherung an die „Wahrheit neben der Dichtung“ (S. 55), einer Dichtung, die mit ihren Fragen an die Wirklichkeit dieselbe auflöst, da ja jede Entscheidung gegen einen Satz auch eine Entscheidung gegen unzählige andere ist. Ein berückender Gedanke, den man sofort nahvollziehen kann. Hermann geht sogar noch weiter und sagt apodiktisch: Oder gar: „Schreiben heißt auslöschen“ (S. 18) Für die Autorin und für das Erzählte bleibt freilich die nichtgesagte Ebene gedanklich bestehen, was man den Texten und Formulierungen Hermanns anmerkt. Diese Parallelität des Erzählens erzeugt womöglich das leicht flirrende Gefühl, die ich sehr mag. Die Begegnung mit ihrem Analytiker Dr. Dreehüs ist so konkret und vorstellbar, wie sie kontextlos neben der Wirklichkeit zu liegen scheint. Es ist überdies in diesem Buch eine von drei Geschichten aus ihrem Leben, die die Autorin bisher nicht hat erzählen wollen. Vielleicht deshalb eigenen sie sich für die Darlegung der poetologischen Praxis Hermanns, nämlich „alles so geschickt zu verfremden, zu verstellen, dass am Ende nichts mehr richtig ist, aber alles wahr.“ (S. 64) Nicht zufällig steht der Titel im Konjunktiv – und entstammt der Episode über Hermann und ihren Lebensgefährten. „Das Verschweigen des Eigentlichen“ (S. 99) führt dazu, dass man beim Lesen die Geschichte nicht nur erfasst, sondern auch fühlt. Gefällt mir sehr gut, weshalb ich diesen Band nur zur Lektüre empfehlen kann!