Ein wunderbar leichtes und schweres Buch

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"Wir hätten uns alles gesagt" von Judith Hermann ist eine Sammlung ihrer drei Frankfurter Poetikvorlesungen. So jedenfalls steht es im Nachsatz zu den drei Abschnitten, die in römischen Zahlen durchnumeriert sind. Im Vorsatz erläutert die Autorin kurz ihren Ansatz zum Inhalt.

Die Erzählungen, die eigentlich eine Erzählung sind, nur in drei Kapitel unterteilt, steigen ohne Umschweife ins Thema ein: eine ungeplante Begegnung mit dem Psychoanalytiker der Autorin außerhalb seiner Praxis. Man will seine Ärzte ja nicht außerhalb dieser intimen Umgebung treffen. Und so beschreibt Judith Hermann die Situation genau so wie ich sie mir auch vorstellen würde.

Von dieser abendlichen Begegnung ausgehend schlägt die Autorin einen Bogen zu ihrer Analyse, ihrer Freundin Ada, die ihr den Analytiker empfohlen hat, weiter zurück zu ihren Freunden, mit denen sie vor einem halben Leben ihre Sommermonate verbracht hat hin zu ihren komplizierten Familienbeziehungen und -verhältnissen. All das beschreibt sie in einer leichten, gleichzeitig schwermütig, zuweilen anrührenden Sprache, die zumindest mich sofort in sich hineingezogen hat.

Dieser Text ist etwas sehr persönliches, und das Schreiben wird explizit nur nebenbei erwähnt. Doch mit allem, was im Text steht, wird klar, was Schreiben ausmacht, woher die Inspirationen stammen, weshalb jemand schreibt und wie er oder sie schreibt.

Fazit: Der Text ist keine Anleitung zum Schreiben. Aber er ist ein autobiographisch gefärbtes Spiel mit Sprache, mit Träumen, mit der Abarbeitung an der eigenen Familie, dem eigenen Befinden, zuletzt auch mit Corona und der damit verbundenen veränderten Zeit. Ich mochte das Buch sehr gerne. Es stimmte mich froh und melancholisch zugleich.