Familiäre Bande lassen sich nicht so einfach lösen

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern
ann-marie Avatar

Von

Anna von Betteray, mit Mitte dreißig geschieden, im katholischen Glauben erzogen, übernimmt ein einem kleinen Ort am Niederrhein die Vertretung des erkrankten (evangelischen) Pfarrers. Für die Dorfbewohner nicht nur auf Grund ihrer adligen Herkunft, sondern vor allem auch wegen ihres Familienstands ein alles anderer als "passender" Ersatz. Dies lässt sie die Haushälterin des abwesenden Pfarrers schon kurz nach ihrer Ankunft deutlich spüren, was Anna aber erst einige Zeit später auffällt.
Neben diesem Erzählstrang, in den bekannte Dorfstrukturen und Verhaltensweisen sehr geschickt und glaubhaft eingebettet sind, erhält man in einem weiteren Erzählstrang Zutritt zur Familie derer von Betteray, wobei eine hervorragende Charakterisierung von Annas Mutter deren Standesdünkel einfach nicht übersehen werden kann. Dabei legt Maria, die nur vier Jahre ältere Schwester von Anna, von klein auf bemüht, der Erwartungshaltung der Mutter inklusive Heirat eines ebenfalls Adligen gerecht zu werden. Dass sie dies nicht nur erfolgreich gemeistert hat und Mutter eines 11jährigen Sohnes geworden ist, täuscht im Laufe der Geschichte nicht darüber hinweg, dass auch bei ihr nicht alles so vollkommen ist, wie sie es nach spiegelt. Dass sich ihr (adliger) Ehemann wegen Steuerhinterziehung rechtfertigen muss passt so gar nicht in ihr Weltbild bzw. entspricht so gar nicht ihrem herablassenden Standesbewusstsein. Dass But dann doch dicker als Wasser ist, zeigt sich in dem zunächst zaghaften Versuch der beiden Schwestern, wieder aufeinander zuzugehen und gemeinsam das nervenaufreibende und belastende Verschwinden von Marias Sohn aufzuklären. Auch stellt sich Anna unterstützend und stärkend an Marias Seite, als sie mit dem nicht unerheblichen Steuerbetrug ihres Ehemannes konfrontiert wird.
Eine ganz besondere, lebenserfahrende und lebenskluge Tante, Großtante Ottilie, trägt mit sehr viel Einfühlungsvermögen und klaren Statements zu Annas psychischem Wohlergehen bei und setzt mit so mancher treffenden Bemerkung amüsante, lebensnahe und lebenstaugliche Akzente im Verlauf der Geschichte. Diese Dame Anfang 90 ist mein ganz persönliches highlight in diesem Roman. Herzerfrischend und doch mit starken und treffenden Bemerkungen – gelungen!
Meine Erwartung auf Grund der kurzen Inhaltsangabe zum Roman, genaueres über die berufliche Tätigkeit Annas und ihre Akzeptanz durch die Bewohner bzw. auch eine mögliche Nichtakzeptanz haben sich leider nicht erfüllt. Das Augenmerk liegt auf der Familie von Beheray und hier im Besonderen in der Auseinandersetzung und auch Aufarbeitung von Annas Vergangenheit. Um dann wieder zu einem guten und freundschaftlichen Verhältnis zu ihrer Schwester zu gelangen. Diese Entwicklung wird unter Berücksichtigung verschiedener Aspekte gut beschrieben und auch auf Grund des leichten und flüssigen Schreibstils kann man dem Verlauf der Geschichte sehr gut folgen, zumal sie auch einige recht spannende Momente enthält.