Unterhaltsame Lektüre

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lapidar Avatar

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Der Verlag Kiepenheuer & Witsch stellte mir freundlicherweise ein Vorableseexemplar des neuesten Romans von Anne Gestuysen zur Verfügung. Deshalb kann dieser Artikel als Werbung eingestuft werden. Die Meinung zum Buch ist allerdings meine eigene und keinesfalls durch das freie Buchexemplar beeinflusst.

Der Cover ist schlicht gehalten: auf einem weißen neutralen Hintergrund sind zwei junge Mädchen mit Rückenansicht zu sehen. Sie sind mit einem Fahrrad unterwegs. Die Kleidung mutet altmodisch an, sie erinnert mich an die 1970er oder frühen 1980er.
Der Cover ist durchaus stimmig und reiht sich gut in die anderen Bücher der Autorin ein, die Cover dort sind ebenfalls in dem ansprechenden nostalgischen Stil gehalten auf dem Rückenansichten von Personen abgebildet sind, die einen Bezug zum Buchinhalt herstellen. Im aktuellen Fall geht es um zwei Schwestern.

Zur Handlung:
Zwei Schwestern Anne und Maria gehen sehr unterschiedliche Lebenswege. Die eine folgt im Prinzip genau dem, was ihre Mutter von ihr erwartet: Sie heiratet vorteilhaft und reich, hat einen Sohn, und ist die geschickte und gewandte Gastgeberin, die ein erfolgreicher Mann an seiner Seite erwartet. Maria ist die Vorzeigetochter par Excellence und Mamas Liebling.

Ihre jüngere Schwester, Anna zeigte schon in jungen Jahren einen starken Willen nach Unabhängigkeit. Sie war immer „Die Wilde“ und Papas Liebling. Sie hat spontan geheiratet, nicht wirklich schlecht, schließlich war ihr Mann Arzt und der Sohn eines renommierten Chefchirugen. Die Ehe war allerdings in den Augen der dünkelhaften Mutter suboptimal, denn der Ehemann kam aus Nordafrika. Erschwerend kommt in den Augen der dünkelhaften Verwandtschaft hinzu,, dass Anna in einer Wohngemeinschaft mit ihrem Mann und dessen Zwillingsbruder lebte. Rumor hat ihr deswegen sofort ein Verhältnis mit beiden Männern angedichtet.
Annas Vater, ein adeliger Landjunker, der deutlich weniger dünkelhaft dachte, als seine Ehefrau und Verwandtschaft, starb kurz nach Annas spontaner Heirat. Deshalb erfährt sie keine moralische Unterstützung und ist in der Familie allgemein als Schwarzes Schaf mit unmoralischen Tendenzen verschrien. Ihre nach außen so perfekte Schwester Maria wird als positives Beispiel hochgehalten.
Anna setzt noch eins drauf. Denn sie konvertierte vom Katholizismus zum Protestantismus und ist nun Pastorin und geschieden.
Anstatt auf ihre Tochter, die Pastorin, stolz sein. Schämt sich Annas Mutter für sie und, versucht alles, ihre Tochter „standesgemäß“ zu verkuppeln.

Die Geschichte beginnt mit Annas erster Pastorenstelle. Sie soll den alten und allseits beliebten Pastor während seines Krankenstandes vertreten. Die Stelle ist ganz in der Nähe ihres Elternhauses und die Gemeinde ist, ähnlich wie Annas landadelige Familie, konservativ bis kleinkariert. Anna „erbt“ die Pastorenhaushälterin, die Wächterin über Moral und Anstand in der Gemeinde.
Durch kleinere, nennen wir es, Fehlinformationen, der Pastorenhaushälterin, tappt Anna in mehrere Fettnäpfchen und hat einen schweren Start in der Gemeinde.
Dies hängt einerseits damit zusammen, dass ihr adeliger Hintergrund bekannt ist und eventuelle Fehler ihr sofort als Snobismus ausgelegt werden, andererseits mit der heftig brodelnden Gerüchteküche, die immer das Schlimmste annimmt. So werden ihr gleich mehrere Affären mit diversen jüngeren Männern der Gemeinde angedichtet. Einfach nur, weil Anna sich mit diesen gut versteht und von diesen Unterstützung erfährt.
Weitere Hilfe erfährt die junge Pastorin von ihrer lebenslustigen über neunzigjährigen Großtante Ottillie, die in einem nahen Stift ihre Altersresidenz hat und mit Ehemann Nummer fünf, die Verwandschaft ebenfalls skandalisiert.
Da Ottillie reich ist und sich um den Dünkel ihrer Familie wenig schert, hat sie im Hintergrund starken Einfluss, den sie nutzt, ihre Großnichte moralisch zu unterstützen.
Anna liebt ihre Schwester, deren Sohn und auch ihre dünkelhafte Mutter. Irgendwie hat sie, mit Hilfe einer Psychotherapeutin, Yoga und ihrem Therapiehund Freddy eine Art Modus Vivendi gefunden, um mit den Schrullen und unbeabsichtigten Beleidigungen ihrer Lieben, zurechtzukommen.
Vor diesem Szenario gerät das Leben der drei Frauen gewaltig aus den Fugen: Marias Ehemann, der reiche und erfolgreiche Graf, wird verhaftet, ihre heile Welt fällt in sich zusammen und Anna erkennt, dass ihre ältere Schwester gar nicht die starke Frau ist, die sie nach außen gibt. Als Marias einziger Sohn dann auch noch verschwindet, ist es Anna, zu der sich alle wenden, die es richten soll. Während gleichzeitig die rückständige Gemeinde ebenfalls im Umbruch ist und Annas Aufmerksamkeit benötigt.
Im Laufe der Handlung werden Rückblicke eingebaut, die dem Leser ermöglichen, zu begreifen, warum die zwei so unterschiedlichen Schwestern, so geworden sind, wie sie sind und was sie verbindet.
Spannend ist, finde ich, zu erkennen, dass Maria, die „perfekte“ ihre Schwester Anna extrem beneidet und gleichzeitig auf sie wütend ist, weil sie – aus Marias Sicht- immer mit allem durchkommt.
Fazit
Ich fand den Roman sehr unterhaltsam. Er ist angesiedelt am Niederrhein, einer Ecke Deutschlands, die ich persönlich nicht kenne. Deshalb kann ich nicht sagen, ob die Personen nicht überzeichnet sind. Aber ich befürchte, dass es diese Charaktere mit ihren kleinlichen Verhalten genau so durchaus gibt.
Frau Gesthuysen hat die Menschen trotz aller Garstigkeiten durchaus versöhnlich gezeichnet und dies ließ mich etwas „unbefriedigt“ zurück. Allerdings denke ich, das liegt aus meiner Sicht daran, dass manchmal die Bekehrung vom „Saulus zum Paulus“ für mich nicht ganz nachvollziehbar war.
Dies wiederum ist sicherlich der menschlichen Natur geschuldet, die sich auch nicht an „Schwarz-Weiß“ hält und der Tatsache, dass ein Unterhaltungsroman eine beschränkte Anzahl an Seiten hat und manche Dinge deshalb vielleicht nicht so gut ausarbeiten kann.
Durch Rückblenden wird dem Leser erklärt, warum die zwei Schwestern ein so gespanntes Verhältnis zueinander haben, der in Annas Augen miese gräfliche Schwager wird auch in ein anderes Licht gerückt.
Diese Rückblenden sind wichtig und tragen das ganze Buch, trotzdem bleiben für mich als Leserin doch viele Fragen offen und einige Dinge kommen mir persönlich etwas schemenhaft vor.

Alles in allem ein gelungener Unterhaltungsroman, den man durchaus lesen kann. Das Happy-End ist sozusagen vorprogrammiert. Ich verbrachte einige vergnügliche Stunden mit dem Buch und bedanke mich bei Autorin und dem Verlag für die Gelegenheit, das Buch vorab lesen zu dürfen.