Es fühlt sich so echt an, weil es so echt ist!

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Lene macht eine Ausbildung im Friseursalon von Madame Céline in Köln Nippes. Sie ist 16 Jahre alt. Sie mag Bücher, lässt sich von Jungs den Kopf verdrehen und hegt eine unverwüstliche, beste Freundschaft zu Rosi. Lene ist ein ganz normales Mädchen. Doch die Zeiten sind nicht normal.
Wir befinden uns im Jahr 1942. Bombenangriffe der Alliierten gehören zu Lenes Leben. Rosi flüchtete schon aufs Land. Die Freundschaft wurde zur Brieffreundschaft. Lenes großer Bruder Franz kämpft an der Ostfront. Ihr kleiner Bruder entwickelt sich zum glühenden Nazi. Ihre kleinen Schwestern kennen keinen Frieden. Ihre Mutter ist nur noch ein Schatten. Ihr Vater? Vermisst. Lene versucht ihren Weg durch die Trümmer zu finden, ohne sich selbst und die Menschlichkeit zu verlieren.

Knapp ein Jahr begleiten wir Lene. Schauen Ihr beim Briefeschreiben über die Schulter. Und dürfen Nachrichten ihrer Lieben an sie lesen. Denn "Wo die Freiheit wächst" ist ein Briefroman. Ungewöhnlich und gewöhnungsbedüftig. Schwierig. Doch lohnend. Ich brauchte lange, um in die Geschichte rein zu finden. Aber dann fühlte sich das Geschehen so nah an, so intensiv, so persönlich, dass ich mit Lene auf jeden neuen Brief fieberte. Ich lauschte ihren Gesprächen. War heimlich Zeuge von Dingen, die doch keiner wissen sollte. Keiner wissen durfte.
Es fühlt sich so echt an, weil es so echt ist. Frank Maria Reifenberg arbeitete sich für seinen Jugendroman durch die Archive des NS-Dokumentationszentrums der Stadt Köln. Er las unzählige Briefe, sichtete Bilder und hörte Tondokumente von Zeitzeugen. Arbeitete eng mit den wissenschaftlichen Mitarbeitern zusammen. Forschte auch in seiner eigenen Familiengeschichte. "Wo die Freiheit wächst" komprimiert all das, all diese persönlichen Chroniken zu einer Essenz der Zeit- und Lokalgeschichte. Packt sie unerträglich dicht zusammen. Augen öffnend, beschämend und bitter, aber auch ergreifend mutig und Hoffnung weckend.

Denn auch wenn die Briefe von Zerstörung, Grauen, Angst, Gefahren und der Ignoranz und Dummheit der Menschen berichten, so berichten sie auch vom Widerstand. Von wachen, jungen Menschen, die sich nicht anpassen wollen. Die nicht wegschauen. Die etwas unternehmen. Die beherzt und tapfer sind. Die ihr Leben aufs Spiel setzen – für eine bessere Welt.

Dank solch großartiger Bücher wird Lenes Liebster hoffentlich nie Recht behalten, wenn er schreibt: „Es wird ja eine Zeit geben, in denen niemand mehr etwas von dem, was wir jetzt erfahren, wissen will und es auch vergeben und vergessen sein wird.“ Wir dürfen nicht vergessen. Nicht das Gute und nicht das Schlechte. Ich gebe die Hoffnung nicht auf, dass wir Menschen vielleicht doch aus unserer Geschichte lernen.
So widmet der Autor das Buch in seinem Nachwort auch all jenen, „die heute den Mut haben, gegen den Strom zu schwimmen, sich für eine Gesellschaft der Vielfalt, Freiheit und Offenheit einzusetzen.“ Danke!