Sag mir wo die Blumen sind…

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kleine hexe Avatar

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Reifenberg lässt ihn vor unseren Augen wieder aufleben: Den Kriegsalltag an allen Fronten: an der Ostfront aber auch an der Heimatfront. Köln wird beinahe jede Nacht zerbombt. Trotzdem harren die Menschen weiterhin aus, gehen ihren Beschäftigungen nach, versuchen mit dem Mangel zu Recht zu kommen. Für sie gibt es keine sichere Wolfsschanze oder protziges Karinhall voll gestohlener Kunstschätze. Für sie gibt es nur Entbehrungen Kälte, Hunger und Not. Die Briefe beschreiben den Kriegsalltag aus der Sicht dieser „kleinen“ Menschen: Lene, die junge Friseurgehilfin beginnt sich erste Fragen zu stellen, ob auch alles rechtens ist, was um sie herum geschieht; ihre Freundin Rosi im harten Ernteeinsatz auf dem Land, die es trotz aller Entbehrungen noch schafft, Pakete an die Freundin und Familie nach Köln zu senden; der Soldat an der Ostfront der versucht, nichts von dem täglich erlebten Grauen in die Briefe in die Heimat zu schreiben; der kleine Pimpf, der das harte Lagerleben in vollen Zügen genießt und nicht merkt, welch brutaler und radikaler Gehirnwäsche er unterzogen wird; der junge Bursche Erich, der Freiheit und eigenständiges Denken so sehr liebt.
Es sind Briefe die so voller Leben und Liebe sind, ja, auch die des dummen kleinen Kalle zeugen von seiner Liebe zum Führer an dem er mit jeder Faser seines kleinen und irregeleiteten Herzens glaubt. Aber die Briefe der anderen Protagonisten sind Zeugnisse einer zutiefst gehenden Menschlichkeit und immer stärkender werdenden Toleranz inmitten ihrer zusammenbrechenden Welt. Was ist das für eine Welt, in der die Machthaber junge Menschen ins Gefängnis stecken nur weil sie das Lied „Wir lagen vor Madagaskar und hatten die Pest an Bord“ gesungen haben? Vielleicht weil sie alle in den Klauen der braunen Pest sind, die das Land überflutet hat.
Das Buch ist in Form eines Briefromans verfasst. Ein Briefroman ist gar nicht so einfach. Die ganze Handlung wird nur in Briefen dargestellt und darf trotzdem nicht eingeengt wirken. Zudem gibt es ein paar ganz berühmte Vorgänger, die sogar am Anfang der Romanliteratur stehen, so wie wir heutzutage Romane verstehen: Goethes Leiden des jungen Werther oder Laclos‘ Gefährliche Liebschaften. Dann, im 20. Jahrhundert fallen mir noch zwei wundervolle Briefromane ein: Daddy Longlegs von Jean Webster und natürlich Herbert Rosendorfers Briefe in die chinesische Vergangenheit. Wir sehen also, Frank Maria Reifenberg befindet sich in allerbester Gesellschaft und braucht keinesfalls zurückstecken. Denn sein Roman wird in der Form der Briefe dem Thema absolut gerecht. Die Briefe ermöglichen es, die Sichtweise der Personen darzustellen aber auch ihre Entwicklung. Wenn wir bedenken, dass es Jugendliche sind, die über Nacht erwachsen werden müssen, Schreckliches erleben, erleiden und überleben müssen, dass manche von ihnen nie heimkehren werden dürfen, weil Stalingrad unerbittlich ist, so sind die Briefe die beste Möglichkeit sie zu Wort kommen zu lassen.
Dies ist ein sehr intensives Buch wider das Vergessen, das im Leser noch lange nachhallt.