XY

Eine Narbe aufgebrochen....

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Als ich las, dass es eine Leseprobe von Sandro Veronesi gibt, war ich sehr neugierig, denn ich hab vor vielen Jahren  schon einmal ein Buch von ihm gelesen und weiß noch, dass es mich fasziniert hatte, vor allem auch sprachlich (Sein anderes Leben).

Und auch bei der Leseprobe von XY hat mich die detaillierte und atmosphärische Sprache förmlich hineingesaugt in den Roman!

Der erste Ich-Erzähler, anscheinend der Pfarrer des Ortes, beschreibt diesen fast ausgestorbenen Weiler San Giude , wo gerade noch 42 Leute wohnen und wo eigentlich nie groß etwas passiert. Aber in den Wintermonaten Dezember bis April kommt jeden Tag zur gleichen Uhrzeit am Vormittag der Schlitten von Beppo Formento, der in der Nähe ein Reitzentrum betreibet, und bringt neben Waren für seine Geschwister, die dort einen Laden haben, Touristen für einen Ausflug in vergessene Zeiten vorbei, wobei der Pfarrer dann auch seine Kirche zeigen darf. Und dann kommt eines Tages der Schlitten alleine dort an , ein einschneidendes Signal, dass sich etwas zugetragen hat, dass alles verändert dort in dem beschaulichen Ort.  Von der Beschreibung einer Idylle der Wechsel zu etwas Ungeheuerlichem, subtile sprachliche und atmosphärische Hinleitung.

Eine Ich- Erzählerin tritt auf und verbreitet eine Stimmung von Angst und Panik. Sie erwacht nachts und findet sich in einem blutbesudelten Bett mit einer aufgebrochenen Narbe einer verheilten 15 Jahre alten Verletzung.  Ihr schießen allerhand Gedanken durch den Kopf, sie weiß, da stimmt etwas nicht, denn eine Narbe kann nicht einfach so im Schlaf aufbrechen, sie fährt ins Krankenhaus, um sich nähen zu lassen, traut sich aber nicht zu sagen, dass die Narbe aufgebrochen ist, weil das ja nicht sein kann, aber warum lügt sie?

Und dann die alles veränderte Situation: die Ich Erzählerin Giovanna und der Bruder Beppos mitsamt Sohn fahren mit dem Motorschlitten los, nachdem der leere Schlitten das Dorf erreicht hat. Zunächst fällt der Ezählerin auf den ersten Blick ein roter Baum auf inmitten der formlosen Schneelandschaft, noch unschuldigen Gedankens findet sie ihn schön, doch der zweite Blick eröffnet das Grauen: Sie finden, zum Glück halb unter Schnee begraben, verstreute Leichenteile inklusive dem Kopf von Beppo Formento.

Zwei Erzählstränge, und ich bin gespannt, wie sie zusammenlaufen. Warum ist die Ich-Erzählerin dermaßen panisch angesicht der Verletzung, was ist damals wohl vor 15 Jahren wirklich noch passiert außer einem Schnitt mit einem Brotmesser? Bricht hier auch im übertragenen Sinne eine Narbe auf?

Gelungener Auftakt für einen sehr spannenden Krimi und die Sprache geht dabei ebenso unter die Haut, denn sie überträgt die Stimmung der Ich-Erzähler so gut, dass man atemlos und fast verkrampft da sitzt und den Wörtern folgt, um zu lesen und sehen, was da jetzt passiert ist!