Zwischen Stolz und Resignation

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rippchen Avatar

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Thematisch hat das Schicksal von Schwarzen in den USA bereits in vielfältiger Form Eingang in die Literatur gefunden. In die Riege solchermaßen publizierender Schriftsteller hat sich auch Ayana Mathis mit ihrem Roman „Zwölf Leben“ eingereiht. Darin zieht sich der Lebenslauf der Protagonistin Hattie Shepherd - von der jungen Mutter bis zur Seniorin – als roter Faden durch die gesamten 360 Seiten.
Einen geschickten literarischen Schachzug nutzt die Autorin, indem sie pro Kapitel eines von Hatties Kindern mittels einer speziellen Episode aus dessen Leben vorstellt und damit auch die Mutter stets unmittelbar in die jeweiligen Schicksale einbindet.
Mit dem Tod von Hatties ersten beiden Kindern im ersten Kapitel wird nicht nur der Grundstein für ihre sich mit einem Schlag verändernde Persönlichkeit gelegt, sondern auch für die soziale und seelische Lebensgrundlage der nachfolgenden Kinder.
Was zunächst – auch im Hinblick auf die gesamtgesellschaftliche Situation der Afroamerikaner – mit Stolz und Zuversicht begann, mündete in Trauer, Verbitterung und Resignation. So ist letztendlich jedes einzelne Familienmitglied zwischen Hoffnung auf der einen und Enttäuschung, Angst und Wut auf der anderen Seite hin und her gerissen. Mal in jüngerem, mal in fortgeschrittenem Alter zeigt die Autorin die Suche von Kindern und Mutter nach ihrer jeweiligen Identität. Dabei ergibt sich nicht nur ein familiäres, sondern zugleich ein gesellschaftliches Soziogramm der Afroamerikaner vom Beginn bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts. Themen wie Drogen-, Spiel- und Alkoholsucht kommen dabei ebenso zur Sprache wie Liebesglück und Liebesleid, diverse sexuelle Spielarten von Ekstase bis Befangenheit, körperlicher Missbrauch und seelischer Verfall, sozialer Aufstieg und gesellschaftliche Ernüchterung, religiöser Rausch und Kriegswirren, Egoismus und Entsagung.
In der Vielfalt der von Ayana Mathis mit viel Fingerspitzengefühl, zuweilen geradezu philosophisch anmutenden Gedankengängen sowie einem interessanten literarischen Konzept aufbereiteten menschlichen Stärken und Schwächen wird sich mancher Leser wiederfinden – unabhängig von Hautfarbe, Glaube, Persönlichkeit. Vielleicht ein nicht immer bequemer und angenehmer, gerade deshalb aber ein realistischer Blick in menschliche und gesellschaftliche Abgründe. Und doch nicht immer düster, sondern durchaus auch hoffnungsvoll, zärtlich, poetisch. Ein Roman, der es wert ist, seinen ihm gebührenden literarischen Stellenwert zu finden.