Zwischen Lebensfreude und Schicksalsschlägen

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Mal depressiv-melancholisch in Selbstmitleid versunken, mal ein unberechenbar-schlitzohriger und nicht immer moralisch korrekter Lebemann und Frauenheld, immer aber mit Herz bei der Sache: So präsentiert Autorin Rose Tremain ihren sympathischen, mit vielen Stärken und noch mehr Schwächen behafteten Hauptakteur, den englischen Medicus Sir Robert Merivel.
Als besonders bestechende Charaktereigenschaft verlieh sie dem Mittfünfziger den typisch englischen Humor, angesichts dessen er vor allem in Gesprächen mit seinem betagten Diener Will die Leser zum Schmunzeln bringt.
Gemeinsam mit diesem betagten – und daher durch entsprechende körperliche Gebrechen sowie geistige Ausfälle gebeutelten – Vertrauten sowie weiterer Dienerschaft und seiner Tochter lebt der praktizierende Mediziner und treue Untergebene des englischen Königs Charles II. im England des 17. Jahrhunderts auf den herrschaftlichen Ländereien Binold Manor in der Grafschaft Norfolk.
Als seine Tochter schließlich immer stärker nach Eigenständigkeit strebt und Merivel – nicht zuletzt in Erinnerung an längst vergangene Ereignisse rund um seinen verstorbenen Freund John Pearce - in Depressionen zu versinken droht, fasst er einen zukunftsweisenden Entschluss: Mit einer Reise nach Versailles an den Hof König Ludwigs XIV, stemmt er sich seinen tristen Befürchtungen um eine drohende Einsamkeit entgegen. Doch statt Luxus, Glanz und Gloria erwarten ihn in Frankreich geradezu armselige Verhältnisse. Einziger Lichtblick für Herz und Seele des angeschlagenen Medicus ist die zwar unglücklich verheiratete, aber eben doch gebundene Louise de Flamanville. Deren Mann jedoch sorgt – auch bei einer weiteren Reise Merivels in die Schweiz zu „seiner“ Louise – dafür, dass keine glückliche Beziehung zustande kommen kann und der Arzt letztendlich den Rückzug auf die Insel antritt. Zusätzlich zu den vergeblichen Liebes-Mühen belasten Merivel die schwere Krankheit seiner geliebten Tochter sowie der im Sterben liegende König Charles.

Als Ich-Erzähler aus der Sicht Merivels besticht Rose Tremain durch große Sprachkraft: Stilistisch gezielt eingesetzt, trägt die leicht antiquierte Sprache der beschriebenen Epoche des 17. Jahrhunderts Rechnung. Je nach Anlass vornehm-kultiviert oder grob-raubeinig, leidvoll-entmutigt oder humorig-amüsant: Autorin Rose Tremain zieht geschickt alle Register, um das Geschehen mit den passenden Ausdrucksformen konsequent zu untermauern.
Besonders Merivels Melancholie in reizvoller Kombination mit humorvollem Augenzwinkern bannt den Leser: Wer kann schon einem Lächeln widerstehen angesichts der Vorstellung der auf die Tischdecke geniesten Karottenstückchen, der vorgetäuschten Taubheit des Dieners bei unliebsamen Befehlen seines Herrn oder der verzweifelten Papageientaucher-Diskussion von Vater und Tochter!?
Zudem spiegeln Rose Tremains liebevoll-poetische und athmosphärisch-intensive Schilderungen von Örtlich- und Persönlichkeiten den Zeitkolorit und stecken voller berührender Poesie.

Inhaltlich wie auch stilistisch fand ich die Darstellung eines England der 1680er Jahre mit seinen gesellschaftlichen und politischen Verhältnissen sowie den Einblicken in Kunst und Kultur, Mode und Medizin sehr gelungen. Allerdings hätte – trotz allem Lieben und Leiden, trotz allem Auf und Ab im Leben Merivels – ein konsequenter ausgebauter und somit für den Leser deutlicher erkennbarer Spannungsbogen sowie ein wenig mehr Tiefgang an diversen Stellen dem Roman durchaus einen Tick mehr Würze verliehen.
Aber – um es im Stil Merivels zu sagen: Es ist, wie es ist – und so ist es gut!