Eine Silvesternacht in NYC

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Cleopatra und Frankenstein von Coco Mellors. Übersetzung aus dem Englischen von Theresa Kögeböhn.


Ein Silvesterabend in New York City: Es ist kurz vor Mitternacht als sich Cleo und Frank in einem Fahrstuhl das erste Mal begegnen. Cleo will die Party vorzeitig verlassen. Sie ist bereits auf dem Nachhauseweg, doch Frank will sie nicht gehen lassen. Zu sehr fasziniert ihn diese geheimnisvolle, blonde Frau mit den grünen Augen.

Cleo, Mitte 20, stammt aus London und studiert Kunst in NYC. Frank ist Amerikaner, Mitte vierzig und Inhaber einer erfolgreichen Werbeagentur. Doch Cleo und Frank könnten kaum unterschiedlicher sein: Nicht nur ihr Altersunterschied auch charakterlich sind die beiden sehr gegensätzlich. Dennoch verlieben sie sich und stürzen sich Hals über Kopf in diese neue, aufregende Beziehung. Kurz nach ihrem Kennenlernen ziehen die beiden zusammen, ein halbes Jahr später heiraten die beiden.

Doch bereits nach wenigen Wochen kommt es in in ihrer jungen Ehe immer häufiger zu Konflikten. Von der Realität eingeholt müssen Cleo und Frank ernüchtert feststellen, dass sie einander kaum kennen - vor allem tiefliegende Verletzungen und Kränkungen ihrer Kindheit, die bis heute ihre Liebesbeziehungen prägen sind es, die ihre Beziehung schwer belasten. Als Cleos und Franks Zweifel immer stärken werden, löst sich ihre symbiotische Verbindung langsam auf. Ihre anfangs romantische Liebe entwickelt sich immer mehr zu einer toxischen Verbindung, in der immer mehr die Schatten ihrer Vergangenheit zu Tage treten.

Als ich erfahren habe, dass das Buch im Sommer diesen Jahres auch in der deutschen Ausgabe erscheinen wird, wusste ich, dass ich dieses hochgelobte Debüt unbedingt lesen wollte. Nicht nur wegen des traumhaften Covers und des NYC-Settings.

Normalerweise bin ich nicht die typische Leserin von Liebesromanen, aber hier wollte ich gerne eine Ausnahme machen.

Coco Mellors zeichnet ein Bild eines jungen, hippen New Yorker Paars, dem nach einen kurzen Liebesrausch die drohende Endlichkeit ihrer Beziehung bewusst wird.

Zudem werden Themen wie psychische Probleme, unverarbeitete Traumata, Alkohol- und Drogenmissbrauch, Diskriminierung und existenzielle Sorgen und weitere Lebenskrisen angesprochen - drängende und wichtige Themen, die aus meiner Sicht aber unzureichend bearbeitet wurden. Aber dazu später mehr.

Der Roman umfasst mehr als 500 Seiten, die sich recht einfach und zügig lasen. So konnte ich das Buch nach wenigen Tagen beenden.

Cleo und Frank als Hauptfiguren, aber auch viele weitere Protagonist*innen wurden recht umfassend beschrieben, dennoch fehlte mir der der Zugang zu den Protagonist*innen und der Tiefgang der Geschichte - vor allem, wenn die Autorin explizit über die psychische Erkrankung der Protagonist*innen spricht. So hatte ich an mehreren Stellen den Eindruck, dass Themen wie Depressionen, unverarbeitete Traumata, Suchterkrankungen und suizidale/selbstverletzende Handlungen recht oberflächlich abgehandelt wurden. Teilweise wurden diese Passagen mit (scheinbar) „witzigen“ Sprüchen der Figuren übergangen und damit bagatellisiert werden, was ich kritisch sehe.

Einerseits ist es wichtig, dass diese Themen häufiger in der Literatur besprochen werden, um mögliche Stigmata und Schamgefühle abzubauen, vor allem da der Roman eher eine jüngere Zielgruppe anspricht. Wenn psychische und Suchterkrankungen thematisiert werden, würde ich mir jedoch mehr Sensibilität, Fachwissen oder Recherchearbeit von Seiten der Autor*innen wünschen. Das hat mir in diesem Buch sehr gefehlt.

Ein weiterer Kritikpunkt ist die stereotype Darstellung einiger Figuren wie bspw. Cleos Reduzierung auf ihre umwerfende Schönheit, die gefühlt auf jeder 2. Seite betont wurde. Ich hatte den Eindruck, dass sie fast ausschließlich auf ihr Aussehen reduziert wird. Cleos Instabilität und psychische Verfassung in Kombination mit ihrem künstlerischen Talent fand ich zu klischeehaft.

Auch der obligatorische schwule, beste Freund der Hauptdarstellerin, ein People of Color und andere Protagonist*innen wirkten wie im Setzbaukasten zusammengesetzt. Ein kleiner Lichtblick war Eleanor, Franks Arbeitskollegin, die auch eine wichtige Rolle einnimmt. Aber insgesamt konnte ich keine richtigen Sympathien zu den Figuren herstellen.

Was mich auch wunderte ist die Ankündigung des Buches, das als „herzzerreißend und beglückend zugleich“ beschrieben wird. Ich empfand die Atmosphäre der Geschichte überwiegend deprimierend. Lustige oder leichte Momente konnte ich leider nicht oft erkennen. Der Fokus lag meiner Meinung nach eher auf den dysfunktionalen Beziehungen und dem destruktiven, scheinbar hippen New Yorker Partyszene- und Drogen-Lifestyle, den ich ziemlich problematisch finde.

Beim Lesen hatte ich öfter „Sex and the City“-Vibes. Die Serie habe ich in den 2000er im TV gesehen, also als ich grob in Cleos Alter war. Und das war wohl auch einer der Gründe, warum es zwischen mir und dem Roman nicht richtig gefunkt hat: Eine jüngere Leserschaft in den Zwanzigern wird sich sicherlich eher in dem Roman wiederfinden und wahrscheinlich besser unterhalten fühlen. Ich war teilweise eher genervt von Cleos und Franks naivem, unreflektiertem Verhalten, wobei ich hierbei Frank weniger verstehen konnte, da er mit Mitte 40 doch über etwas mehr Lebenserfahrung verfügen sollte. Allein der Gedanke, dass eine Beziehung und eine schnelle Eheschließung wunderbar harmonisch und konfliktfrei funktioniert, obwohl man kaum etwas über den anderen weiß, hat mich schon ein wenig verwundert.

Ich bin gespannt, ob dieser extrem gehypte Roman bald von einem der bekannten Streaming-Anbietern verfilmt wird. Ich würde fast drauf wetten!

Insgesamt bleibt der Roman leider unter meinen wohl zu hohen Erwartungen. Schade, aber das Buch wird meiner Meinung nach dem Hype nicht gerecht, was vielleicht aber auch daran liegt, dass ich eben nicht die typische Leserin solcher Romane bin und nicht (mehr) zur Zielgruppe gehöre. Ein jüngeres Publikum wird sich vielleicht besser identifizieren können und mehr Freude beim Lesen haben. Einen halben Punkt gibt es für das traumhafte Cover und den wunderschönen zum Buch passenden Stoffbeutel, der mein täglicher Begleiter geworden!

3 von 5 ⭐️⭐️⭐️



{Triggerwarnung: psychische Erkrankungen, Traumata, Suizidversuch, Tod von nahestehenden Angehörigen, Alkohol- und Drogenkonsum}