Die geheimnisvolle Gottesformel

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aennie Avatar

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Princeton, 1951. David Ben-Gurion besucht Albert Einstein. Er hat ein Anliegen. Der Physiker soll dem jungen Staat Israel mit seinem Wissen zur Seite stehen. Umzingelt von arabischen Ländern fürchtet der Staatspräsident um die Sicherheit der Nation. Besäße Israel eine Atombombe, so glaubt er, könnte er dessen Position ungleich stärken. Er bittet Einstein daher um die Entwicklung einer möglichst kostengünstigen Lösung – doch der ist skeptisch. Unter den Ohren der CIA entwickelt sich ein Gespräch über Politik, Moral, Religion und Glauben, an dessen Ende Ben-Gurion Einstein ermuntert, sich an die Entwicklung einer entsprechenden Formel zu machen. Dieses Projekt beschäftigt Einstein bis zu seinem Tod im Jahr 1955 und seine Assistenten noch Jahrzehnte darüber hinaus.

Dieses Szenario ist Ausgangspunkt des Romans „Das Einstein Enigma“. Die Forschungen des Physikers mündeten seinerzeit in ein Manuskript mit dem Titel „Die Gottesformel“. Der Iran wird auf die Existenz dieses Manuskripts aufmerksam und weiß um die Umstände seiner Entstehung und glaubt hier eine Lösung für die gewünschte Herstellung nuklearer Sprengsätze gefunden zu haben. Es gelingt, das Manuskript in Besitz zu bringen – doch die Entschlüsselung gelingt nicht. Da vermutet wird, Teile der mysteriösen Verschlüsselung könnten auf Portugiesisch verfasst worden sein, wird die Agentin Ariana auf den Historiker Tomas Noronha angesetzt. Sie soll ihn anwerben gegen ein horrendes Honorar das Dokument zu dechiffrieren. Dies bleibt auch der CIA nicht verborgen und Tomas wird wider Willen zum Doppelagenten. In der Folge hat er sich nicht nur mit den speziellen Gepflogenheiten der iranischen Obrigkeit und der CIA sondern auch mit einer Menge physikalischer Theorien und Denkansätze auseinanderzusetzen. Schritt für Schritt kommt er dabei dem Geheimnis näher und es zeigt sich, das das Manuskript vielleicht in eine ganz andere Richtung weisen könnte, Ben-Gurion und Einstein haben sich nicht nur über Atomwaffen unterhalten. Und plötzlich muss sich Tomas auch mit Evolution und kreationistischen Modellen fast aller Religionen der Welt beschäftigen…

Selten habe ich bei einem Buch Stärken und Schwächen in so einem krassen Gegensatz empfunden wie bei „Das Einstein Enigma“. Der Roman vermittelt eine unglaubliche Menge an Wissen über Physik und Religion: Relativitätstheorie, Quantentheorie, Astrophysik, Unschärferelation, dazu diverse Schöpfungsmythen, wissenschaftliche Denkmodelle und diese Bestandteile sind hervorragend. Bei aller Komplexität der Thematik wird in meinen Augen auf verständliche und fesselnde Art und Weise eine gelungene Vermittlung an den Leser erreicht. Ganz ohne Frage, es ist sicherlich so, dass es nicht schadet, wenn man sich für Naturwissenschaften interessiert, insbesondere sollte man keine Physik- und Mathematikallergie haben. Ich empfinde in dieser Hinsicht das Buch schon als recht selektiv und kann mir vorstellen, dass es auch eine sehr breite Leserschicht gibt, die das Buch nach einem Drittel vollkommen entnervt beiseitelegt und keinerlei Lesevergnügen dabei empfindet. Für mich hat es gepasst, und dieser Aspekt hat mich begeistert.
Ganz schlecht, das kann ich tatsächlich leider nicht anders sagen, ist jedoch alles jenseits der Wissenschaft. Der Autor glänzt mit den Ausführungen über Physik, Religion und alle möglichen Theorien und Experimente und versagt bei der Rahmenhandlung, der Entwicklung der Haupt-Figuren und vor allem den Dialogen, die ich teilweise nicht mehr wirklich gelesen habe – was aber auch nicht so schlimm war: „Äh“ ist kein Wort. Tomas benutzt das aber sehr häufig – ich finde das stilistisch ganz schlecht, das kann man doch auch anders ausdrücken (zögerte er, er blickte verunsichert, sah sein Gegenüber fragend an – ich bin kein Lektor, aber etwas Besseres als die immer gleiche Entgegnung „äh“ fällt einem doch wohl ein. Tomas als Figur an sich, die Beziehung zu Ariana, zu seinen Eltern, das ist unausgegoren und auch teilweise unglaubwürdig. Es ist wirklich auffällig, wie viel besser mir sämtliche wissensvermittelnden Nebenfiguren gefallen haben, allen voran Tenzing Thubten. Doch auch diese weisen Schwächen auf, wenn sie nicht „dozieren“ – warum Professor Rocha, sich ziert, die Forschungsergebnisse seines Vorgesetzten zu zitieren, ist merkwürdig und unüblich – zumal er Teil der Forschungsgruppe ist.
Manchmal tauchen Sätze auf, da war ich versucht, eine spontane Umfrage auf der Fußgängerzone zu starten: „Ja, dachte er, es gab gewiss keinen Menschen auf der Welt, der diesen Palast in Tibet nicht erkannt hätte. Der Potala. (S. 352)“. Im Ernst? Wirklich, KEIN Mensch auf der Welt?, wow! Wie kann man einen solchen Satz schreiben? Mein spontaner Gedanke war, dass Tomas einfach nur mal seine Mutter fragen sollte, ich bin da skeptisch… Und ob es grammatikalisch besser mal DEN Potala hätte heißen müssen, da möchte ich mich gar nicht festlegen. Das Ende des Buches ist dann auch sehr abrupt – klar, Rätsel gelöst, jegliche Idee für ein rundes Ende war wohl einfach nicht vorhanden.
Weitere Kleinigkeiten kann man aufzählen, beispielhaft sei noch genannt die mangelnde Sorgfalt des Lektorats (Printversion Seite 62: viermal taucht der Name Ben-Gurion auf: zweimal mit, zweimal ohne Bindestrich), mich stört das einfach.

Fazit: Spannende Vermittlung von physikalischen und theologischen Inhalten, der Rest eher mau. In meinen Augen ohne mindestens naturwissenschaftliches Interesse schwer vermittelbar. Dos Santos ist sehr gut darin, wissenschaftliche Inhalte verständlich zu formulieren, ein Talent für’s Fiktionale zeigt er leider hier nicht. Bedingte Leseempfehlung und leider nur drei Sterne insgesamt.