Ein Bündel Briefe im Gepäck

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Autor: (Verlagsinfo)

Die Bücher von John Boyne, geboren 1971, wurden bisher in mehr als 40 Sprachen übersetzt und mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet. Der internationale Durchbruch gelang
Boyne mit seinem Roman "Der Junge im gestreiften Pyjama", der in vielen Ländern auf den Bestsellerlisten stand, für das Kino verfilmt und von der Kritik als »ein kleines Wunder« (The Guardian) gefeiert wurde. John Boyne lebt in Dublin.

Inhalt: (Verlagsinfo)

London, September 1919: Der junge Tristan Sadler steigt in einen Zug. Er fährt nach Norwich, um sich dort mit Marian Bancroft, der Schwester seines toten Kameraden Will, zu treffen, mit dem er Seite an Seite im Ersten Weltkrieg gekämpft hat. Als Gepäck trägt Tristan ein Bündel Briefe mit sich – und seine Erinnerung.
In Norwich trifft sich Tristan mit Marian in einem Café. Er erzählt ihr von seiner ersten Begegnung mit Will im Ausbildungslager Aldershot; von der Schiffspassage nach Nordfrankreich, vom Leben und Sterben im Grabenkampf, aber auch von der Freundschaft und dem Vertrauen, das sich die beiden jungen Männer schenken. Und er legt Zeugnis darüber ab, wie Will sein Leben einsetzt, um sich unter unmenschlichen Bedingungen einen Rest von Menschlichkeit zu bewahren. Tristans erschütternder Bericht ist ebenso schonungslos wie ungeheuerlich, und doch bleibt er Marian die schrecklichste Wahrheit schuldig - vorerst.

 

Eigene Gedanken:

Ein Jahr nach Ende des ersten Weltkrieges reist der 21 jährige Tristan Sadler mit dem Zug von London nach Norwich mit einem Bündel Briefe im Gepäck. Er hat im 1. Weltkrieg in Frankreich gekämpft und möchte Briefe aus dem Besitz seines getöteten Freundes Will Bancroft seiner Schwester zurückbringen. Neben den Briefen trägt Tristan auch sehr belastende Erinnerungen aus dem Krieg mit, die er Wills Schwester Marian anvertrauen möchte.

Marian und Will sind als Kinder des Pastors von Norwich in einer sehr behüteten  Umgebung aufgewachsen. Will verspürt die Pflicht in den Krieg zu ziehen und für sein Vaterland zu kämpfen. Er bringt jedoch sehr bald ein gewisses Verständnis für pazifistisches Gedankengut. Im Ausbildungslager im Jahre 1916 in Aldershot freundet sich Will mit dem 17 jährigen Tristan Sadler an, der mit seinem Alter geschwindelt hat, weil er unbedingt in den Krieg ziehen wollte. Obwohl ihre Freundschaft nicht ungetrübt bleibt, so kämpfen sie im Sommer bis Herbst 1916 in Frankreich doch Seite an Seite im Schützengraben.  

Während der ganzen Zeit im Ausbildungslager sowie an der Front hatte Will regen Briefkontakt mit seiner Schwester Marian, so dass sie über viele Geschehnisse aus Wills Perspektive recht gut informiert ist. Tristan erzählt Marian auf recht schonungslose die Erlebnisse im Schützengraben aus seiner Sicht und bringt ihr die letzten Monate ihres Bruders nahe.

Nach 60 Jahren kommt es zu einer letzten Begegnung von Marian und Tristan, nach der Tristan seine Erlebnisse endgültig loslässt, indem er das Manuskript mit seinen Erlebnissen – seinem Geständnis  -  veröffentlicht.

Das Buch ist in sieben größere Abschnitte unterteilt, die abwechslungsweise im Kriegsgeschehen 1916 beziehungsweise in Norwich anlässlich des Treffens von Tristan und Marian im September 1919 spielen. Obwohl man schon recht früh Vermutungen hat, in welche Richtung der Roman führen könnte und durch Vor- und Rückblenden einzelne Aspekte aufgegriffen werden, so führt John Boyne dennoch in einem sehr ruhigen Erzählrhythmus durch das Leben der beiden Freunde von der Kindheit bis zu den letzten Wochen an der Front.

Die Bilder, die der Autor vor dem inneren Auge des Lesers heraufbeschwört, sind sehr eindringlich und nicht immer sehr angenehm. Ohne Effekthascherei wird auch die blutige und schmutzige Seite des Kämpfens im Schützengraben schonungslos dargestellt. Der Schwerpunkt liegt weniger auf der Spannung der Kampfhandlungen als auf der Stimmung, die herrscht, bestimmt unter anderem auch durch die täglichen Probleme mit Ernährung, Gesundheit Müdigkeit und Angst. Hautnah erlebt man mit, wie Kameraden und Vorgesetzte sterben oder den Verstand verlieren.  

Die Charaktere der beiden Hauptfiguren Tristan und Will sind meiner Meinung nach sehr gut gelungen. Boyne zeichnet sowohl ihre Gefühlsschwankungen als auch ihre Enttäuschungen sehr sensibel auf. Genau so haben mir die anderen Charaktere unter den Soldaten sehr gut gefallen. Mit der Figur der Marian hatte ich etwas Mühe. Ich empfand sie anfangs, als sie Tristan im Café trifft und gegen Ende, als sie Tristan ihren Eltern vorstellt, recht zickig und unreif. Dazwischen war sie mir sympathischer aber irgendwie doch konturlos. Sehr gut hat sie mir aber ganz am Ende gefallen, als sie Tristan nach 60 Jahren noch mal trifft. Das war auch für mich als Leser irgendwie versöhnend.

Mein Fazit:

Mir hat das Buch sehr gut gefallen. Es bringt dem Leser auf sehr sensible Art das Leben von Soldaten im 1. Weltkrieg nahe und zeigt auch, wie die Daheimgebliebenen mit den Verlusten fertig werden müssen. Allerdings sehe ich das Buch weniger als typischen  historischen Roman, da er nur wenige Informationen über politische und strategische Hintergründe des Krieges beinhaltet. Der Schwerpunkt ist auf der Beschreibung des Lebens an der Front aus der Perspektive eines 17jährigen Soldaten, der sich nicht so intensiv mit den politischen Ränkespielen und dem strategischen Kriegsverlauf auseinandersetzen konnte. Wer eine ausführliche historische Aufarbeitung des Krieges erwartet, wird womöglich enttäuscht sein.

Ein Roman über Freundschaft, enttäuschte Liebe, Mut, Feigheit, Schuld, das viel Raum für eigene Gedanken lässt und kein Urteil über die Beteiligten Personen fällt.