Schaurige Medizingeschichte, nichts für schwache Nerven!!!

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gormflath Avatar

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Wer im frühen 19. Jahrhundert einem Chirurgen ausgeliefert war, konnte von großem Glück sprechen, wenn er eine Operation überhaupt überlebte! Bevor Äther als Narkosemittel entdeckt wurde, operierte man die vor Schmerzen schreienden Patienten völlig ohne Narkose. Es ist heute kaum vorstellbar, aber die mit der nötigen Brutalität ausgestatteten Chirurgen erinnerten mit ihrer in Blut getränkten Arbeitskleidung tatsächlich eher an Schlachter. In den Operationssälen drängte sich das sensationsgierige Publikum, die immer wieder verwendeten Instrumente wurden nie gereinigt. Die Patienten mussten gebändigt werden, um sie so an einer Flucht zu hindern. Selbst Patienten, die einen Eingriff wie eine in Sekundenschnelle durchgeführte Amputation überlebten, starben zumeist bald danach an einer Infektion. Kurzum, in den überfüllten Krankenhäusern herrschten katastrophale Zustände!
Als der junge Arzt Joseph Lister 1844 sein Studium in London beginnt, ist die medizinische Versorgung der Bevölkerung desaströs: Wer in den verseuchten Krankenhäusern als Patient aufgenommen werden wollte, musste zunächst genug Geld für die eigene Beerdigung mitbringen. Unter den Ärzten herrschte keine Einigkeit darüber, auf welchem Weg sich Krankheiten ausbreiteten, sondern nur hanebüchene Theorien. Joseph Lister wird Chirurg und will ganz praktisch helfen. Von Neugier und hellem Verstand geleitet, machte er sich allen Widerständen und Anfeindungen zum Trotz einen Namen mit der Antiseptischen Chirurgie. Durch den Einsatz von Karbolsäure zur Wundreinigung konnte er viele Menschenleben retten, die Sterblichkeitsrate wurde massiv gesenkt.
Neben Listers Wirken geht das Buch auch auf die Arbeit anderer Chirurgen und Naturwissenschaftler des 19. Jahrhunderts ein, zum Beispiel Ignaz Semmelweis und Louis Pasteur. Trotz einiger medizinischer Fachbegriffe sind zum Lesen der spannenden Lektüre keine Vorkenntnisse notwendig.
Die Autorin Lindsey Fitzharris, die in Medizingeschichte promovierte, nimmt mit ihrer anschaulichen Schreibweise kein Blatt vor den Mund. Beim Lesen manch schauriger Details leidet man mit den Opfern mit und kann sich lebhaft vorstellen, was die Patienten zur damaligen Zeit durchmachen mussten.
Schon das Cover in Blutrot auf schwarzem Hintergrund mit zwei altertümlichen Operationsgeräten übt eine gewisse Faszination aus.
Der Titel “Der Horror der frühen Medizin” hätte nicht passender gewählt werden können, denn schockierend und gleichzeitig faszinierend sind die Einblicke, die dem Leser hier gewährt werden. Bei Lesen wird einem bewusst, welche Fortschritte die Medizin seit dieser Zeit durchlaufen hat. Es ist kaum zu glauben, wie wenig Zeit im Prinzip seitdem erst vergangen ist.
Das Buch eignet sich gut auch für Leser von historischen Romanen, die somit ein solides Hintergrundgrundwissen im medizinischen Bereich erhalten.