Der Titel, der zu viel versprach

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boris g. Avatar

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„Der Mann, der nie Glück hatte“ ist ein Roman von Matthias Matting, der aus der Perspektive eines allwissenden Narrators von unterschiedlichen Personen, Martin und seiner Mutter, in unterschiedlichen Zeiten erzählt.
In der Leseprobe lernen wir zunächst Martin kennen, der auch der titelgebende Protagonist zu sein scheint. Er betrachtet Erinnerungsstücke an seine Mutter und an seine Kindheit in einer Pappschachtel. Die erste Erinnerung, die er mit dem Leser teilt, ist die, dass er als sehr junges Kind auf eine geflügelte Engelsfigur beim Zoo geklettert war und dabei einen Flügel abgebrochen hatte. Außerdem erfahren wir, dass Martin als Kind davon ausging, einen unsichtbaren (vielleicht verstorbenen?) Bruder gehabt zu haben, der ihm sehr real erschien.
Im nächsten Kapitel erleben wir Martins Mutter Maria auf dem Weg zur Entbindung, offenbar schwanger mit Martin.
Nach einem weiteren Perspektivwechsel sind wir wieder bei Martin und erfahren, dass er nach einem Selbstmordversuch in der Psychiatrie ist und eine Therapiesitzung mit einer Ärztin hat, die ihn nach seinen Erinnerungen an seine Mutter befragt.
Martins Geschichte scheint in der Jetztzeit zu spielen, obwohl wir – nicht zuletzt der Tatsache geschuldet, dass er in einer Krankenanstalt lebt – keinerlei Referenzen, wie zum Beispiel ein Mobiltelefon - an eine Epoche finden. Auch die zeitliche Verortung des Maria-Strangs erscheint schwierig. Wir erfahren, dass ihr Mann keinen Telefonanschluss wollte, weil zu teuer. Das klingt nach 60er Jahren, dennoch beschreibt Maria den Hörer als „aus Plastik“, wiewohl Telefonapparate zu dieser Zeit aus Bakelit waren.
Die beiden Figuren, Maria und Martin, bleiben dem Leser fremd, es entsteht wenig Sympathie. Der auktoriale Erzähler begnügt sich nicht nur mit der Beschreibung der Ereignisse, sondern tendiert dazu, die Innensicht seiner Figuren zu übernehmen. Das hinterlässt beim Leser Irritation.
Sprachlich ist die Leseprobe eher holprig. Neben bemüht poetischen Bildern finden sich beinahe komische falsch angewendete Relativsätze („Ein Mann im weißen Kittel kramte hektisch in dessen Kofferraum“, also im Kofferraum des Kittels?) und Sequenzen, die man eher im Frauenillustrierte-Genre erwarten würde ("Dr. Manuela Lerche war ein paar Zentimeter größer als er, außerdem trug sie stets hochhackige Schuhe. Sie hielt sich kerzengerade. Vielleicht war sie in einem früheren Leben Model gewesen. Martin schätzte sie auf um die 50. Ihre energische Stimme konnte sehr tief klingen, wenn sie ruhig war, aber auch in unerwartete Höhen vorstoßen, wenn sie sich aufregte. Vielleicht war sie früher auch Opernsängerin gewesen. Allerdings stellte sich Martin Sängerinnen dieses Ressorts mit deutlich größerem Busen vor, als Frau Dr. Lerche vorweisen konnte.")
Großer Pluspunkt ist die Covergestaltung, auch der Titel macht neugierig, die Leseprobe erfüllt aber weder die mit dem Titel geweckten Erwartungen noch macht sie Lust auf mehr.
Matthias Matting hat sich einen Namen gemacht als Verfechter des Selbstverlags. Manchmal wäre es vielleicht doch gut, den kritischen Blick eines Verlaglektors vor Drucklegung zu bemühen.