Das Leben leben

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sikal Avatar

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Als sich Helen zur Überwachung in einer Nervenklinik wiederfindet, fühlt sie sich anfangs unverstanden, unwohl und am falschen Ort. Eines Nachts beginnt sie einer schweigenden Krankenschwester ihre Lebensgeschichte zu erzählen. Was folgt ist ein Monolog über ein Leben, wie es sicherlich zum Teil von vielen anderen so gelebt wird – bis Helen etwas Schreckliches tut.

Sie erzählt von ihrer Kindheit in einer kinderreichen Familie mit einer kranken und überforderten Mutter, ihrer Beziehung zu ihren Geschwistern und hier besonders zur jüngsten Schwester Lentje. Von Helen erfahren wir über ihre eigene Schönheit, die von den Männern wahrgenommen wird und von ihrer großen Liebe Hannes. Helen kümmert sich nach dem Tod der Eltern um die noch junge Lentje und ahnt nicht, welche schwerwiegenden Folgen dieser Schritt für sie noch haben wird.

Die Autorin Marianne Philips hat diesen Roman bereits 1930 geschrieben und dieser wurde nunmehr im Diogenes-Verlag neu aufgelegt. Philips stammte aus einer niederländischen Mittelstandsfamilie, die nach dem Tod des Vaters zur Armut verdonnert war. Philips selbst hatte drei Kinder, war neben Haushalt und Kindererziehung politisch aktiv. Als sie psychische Probleme bekam, wurde sie von ihrem Psychiater zum Schreiben animiert. Die Geschichte ist zum Teil autobiografisch.

Philips wählte für diese nächtliche Beichte die Monologform und erzählt ruhig, zum Teil monoton, von ihrem Leben. Sie erzählt über die Beschwernisse, denen sie ausgesetzt war, von ihrem Kampf, den angeborenen Fesseln zu entkommen, um sich ihr eigenes Leben aufzubauen. Ehrgeizig und mit einem klaren Ziel von einem besseren Leben strebt Helen nach dem gesellschaftlichen Aufstieg. Als dieses Konstrukt einzustürzen droht, ist Helen nicht mehr Herr ihrer Sinne und handelt.

Die gewählte Monologform ist sehr ungewöhnlich zu lesen und es dauerte ein wenig, bis ich in die Geschichte eintauchen konnte. Der Schreibstil ist unaufgeregt und fesselt trotzdem – oder vielleicht auch gerade deshalb, weil dieser so ruhig gehalten ist. Man fühlt sich fasziniert und schüttelt dann wieder den Kopf, muss sich vor Augen halten, dass dieses Welt- und Frauenbild noch ein anderes war, die Wahrheit ein dehnbarer Begriff ist und die eigene Identität sich oftmals zu verstecken scheint.

Die Charaktere bleiben (gewollt) blass – die Krankenschwester erscheint nur skizzenhaft. Mit der Protagonistin Helen taucht man in Emotionen, die wie ein Sog den Leser fesseln und nicht mehr loslassen, wenn man im Strudel dieser Erzählung erst mal gefangen wurde.

Das Buch hat mich fasziniert und trotz der ungewöhnlichen Monologform eingenommen. Gerne vergebe ich hier 5 Sterne.