Bildgewaltiger Roman vor dem Hintergrund des deutschen Bauernkrieges

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marionhh Avatar

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Im Jahr 1524 ist vom Glanz der einst mächtigen Königsburg Trifels nicht mehr viel übrig. Agnes, die Tochter des Burgvogts Philipp von Erfenstein, wächst ohne Mutter auf, dafür mit vielen Freiheiten. Ihre Gefährten sind der gleichaltrige Mathis, der Sohn des Burgschmieds, Tristan, Mönch und Agnes´ Hauslehrer, und ihr Falke Parcival.

Die Burg ist heruntergekommen, der Vogt hochverschuldet, von den verarmten Bauern ist auch nichts mehr zu holen, der Kurfürst verlangt jedoch seine Abgaben, die jedes Jahr erhöht werden. Burgvogt Philipp, einst ein stolzer Ritter, verbündet sich mit dem jungen Grafen Friedrich von Löwenstein-Scharfeneck, ernennt Mathis zum Geschützmeister und kämpft gegen den Raubritter Hans von Wortingen, der Wegezölle kassiert, raubt, mordet und vergewaltigt und die Gegend unsicher macht. Friedrich verspricht Philipp reiche Beute – doch dazu kommt es nicht mehr, Philipp stirbt unerwartet, nicht ohne Agnes das Versprechen abzunehmen, Friedrich zu heiraten. Agnes, gefangen im goldenen Käfig ihrer Ehe, hasst ihren Gemahl. Außerdem hat sie immer wiederkehrende, sehr lebendige Träume, in der sie in der Vergangenheit auf der Flucht vor Häschern ist. Alles hängt anscheinend mit einem Ring zusammen, auf dem das Bildnis des alten Kaisers Barbarossa prangt. Agnes beschließt, zu Tristan, ihrem alten Lehrer, ins Kloster Eußertal zu gehen, wo sie sich mehr Informationen zu ihrer Herkunft erhofft.

Mathis hat sich in der Zwischenzeit einem der Bauernhaufen unter dem Anführer Schäfer-Jockel angeschlossen, die gegen die Ungerechtigkeit und die Ausbeutung durch die Fronherrschaft kämpfen und sich gegen ihre Herren erheben. Obwohl Mathis hier seiner Leidenschaft, dem Schmieden und Bedienen von Kanonen und anderen Feuerwaffen nachgehen kann, schreckt ihn die Brutalität des Krieges und seiner Anführer ab. Bei der Erstürmung des Klosters Eußertal, bei der Tristan stirbt, treffen Agnes und Mathis wieder aufeinander und beschließen nach St. Goar zu reisen, wo sie die Lösung des Rätsels, das in Agnes´ Vergangenheit zu liegen scheint, vermuten. Begleitet werden vom Barden Melchior von Tanningen, der ein eigenes Interesse an der Auflösung des Rätsels hat, sowie dem Geschützmeister Reichhart.

Auf dem Weg durch das vom Krieg zerstörte Land gehen die Gefährten durch die Hölle, verlieren einander und treffen sich schließlich im Feldlager der Landsknechte wieder, von wo aus sie gemeinsam nach St Goar aufbrechen. Dort erhält Agnes nähere Auskünfte durch den dortigen Dekan des Klosters, die sie nur noch verwirrter zurück lassen. Hinweise führen sie und ihre Gefährten zurück in die heimatliche Burg Trifels und schließlich nach Speyer, wo alle Fäden letztendlich zusammenlaufen und sich der Kreis schließt.

Wunderbarer, dichter und farbenprächtiger historischer Roman über eine mutige und starke junge Frau, die sich auf eine Reise in ihre Vergangenheit begibt, in die Wirren der Bauernkriege gerät, die Hölle erlebt, abrupt erwachsen werden muss und die schlussendlich doch ihr Glück in der Zukunft findet. Der über 900 Seiten starke Wälzer präsentiert sich mit edlem und farbenprächtigem Einband, einer Karte der Region und einem durchaus sinnvollen Personenregister. Am Ende des Buches findet der geneigte Leser außerdem eine kurze Beschreibungen der Hauptpersonen, eine Chronik des deutschen Bauernkrieges sowie einen „kleinen Burgen- und Reiseführer“, den man unbedingt erst zum Schluss lesen sollte und in welchem der Autor seine ganz persönliche und zur Nachahmung empfohlene Reise durch die geschichtsträchtige Pfalz präsentiert. Unterteilt ist das Werk in zwei Bücher, deren einzelne Kapitel mit Zeit- und Ortsangaben überschrieben sind, so dass der Leser sofort weiß, welchem Erzählstrang er gerade folgt, und deren Initial (also der 1. Buchstabe des ersten Wortes) prächtig verziert an mittelalterliche Texte erinnert.

Starke Charaktere, eine bildgewaltige Sprache und ein spannender historischer Hintergrund liefern die Grundpfeiler dieses rundum gelungenen Historienschmökers, der von der ersten Minute an fesselt und den man als interessierter Leser nicht aus der Hand legen kann. Man taucht ein in die Welt des ausgehenden Mittelalters, in die Gegend des an Burgen und (Raub-)Rittern nicht eben armen Süddeutschlands, erlebt einerseits das klassische Mittelalter mit Rittern, Barden und Burgfräuleins, aber auch den Beginn der Moderne. Mit Romantik, edlen Helden, Minnesang und keuscher Liebe hat das alles allerdings wenig zu tun, die Realität in zugigen Burgen, in einer Welt voller Armut und Hunger, Folter und Hinrichtungen, Intrigen, Spionen, Verfolgung, Ausbeutung und Krieg holt die Protagonisten sehr schnell ein.

Agnes und Mathis sind zwei Hauptfiguren, wie sie auf den ersten Blick unterschiedlicher nicht sein können, durch Standesunterschiede und Herkunft getrennt, und als Burgfräulein und Hofschmied, Adlige und Handwerker, stehen sie eigentlich auf zwei verschiedenen Seiten. Dennoch wachsen beide gemeinsam auf, beide sind mutig, klug und eigenwillig, und beiden hilft ihr starker Willen, sich in einer feindlichen Welt zu behaupten. Auch wenn sie getrennt sind, führt sie ein starkes Band immer wieder zusammen. Aber auch die Nebenfiguren haben vielschichtige Charaktere und sind so überzeugend, dass sowohl historische als auch fiktive Personen real werden. Der Leser erhält tiefe Einblicke in die deutsche Geschichte, trifft die geballte Macht und Herrlichkeit mehrerer deutscher Kaiser und Könige und nimmt Anteil am Leid der einfachen Menschen.

In mehreren Erzählsträngen und aus unterschiedlichen Perspektiven erzählt der Autor nicht nur Agnes´ und Mathis´ Erlebnisse über einen Zeitraum von 2 Jahren, sondern der Leser verfolgt atemlos auch den Kampf der beiden mächtigsten Fürsten jener Zeit, des Kaisers der Deutschen, Karl V, und Franz I., König von Frankreich und fiebert nicht nur mit Agnes und Mathis mit, sondern verfolgt auch den Weg des Spions Casper, der Landsknechte, der Bauern und Mönche und die Machenschaften der königlichen Herrscher mit Spannung.

Fazit: Dem Autor gelingt es vortrefflich, Abenteuer- und Liebesgeschichte sowie historische Begebenheiten zu einem spannenden Roman zu verweben, ohne jemals schwülstig oder gar langatmig zu werden. Er entwirft eine Welt zwischen Aberglaube und Moderne, deren mittelalterliche Strukturen aufbrechen und in welcher der Grundstein gelegt wird zu einer neuen Zeit. Luther, die Bauernkriege, das aufstrebende Bürgertum stehen im Gegensatz zu Adel und Papsttum und deren Festhalten am Feudalwesen. Der Bauernaufstand wurde blutig niedergeschlagen, die Rache der Sieger vernichtete wertvolle Arbeitskraft und ließ verödetes Land zurück. Trotzdem gelten die Artikel der Bauern als erste Abfassung von Menschenrechten, deren Motive in der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung sowie in der aus der französischen Revolution entstandenen Republik zu finden sind. Abgesehen vom großen Wissen des Autors über derlei Hintergründe ist der Roman schlichtweg spannend und so fesselnd geschrieben, dass auch der geschichtlich Uninteressierte seinen Spaß an der Lektüre haben wird!