Zutiefst bewegende, wahre Geschichte

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wortwandeln Avatar

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Wüsste man nicht, dass dies eine durch und durch wahre Geschichte ist, würde man sie kopfschüttelnd als zu unrealistisch ablehnen. So ging es mir jedenfalls, bevor ich nach den ersten Kapiteln zu recherchieren begann und überrascht feststellte, dass nicht einmal die Namen der Hauptfiguren verfremdet wurden. Sämtliche Akteure gab es wirklich. Was sie erlebten, ist verbürgt und nimmt einem den Atem.
Als alternative comedian ist Jenny Lecoat in Großbritannien eigentlich besser bekannt. Als Kind der Kanalinsel Jersey hat die Fernsehautorin Anfang des Jahres ihren Debütroman "Hedy's War" vorgelegt, der im September dank der Übertragung von Anke Kreutzer unter dem Titel "Die Übersetzerin" auch auf Deutsch erschien.
Der ist alles andere als komisch und beleuchtet ein Kapitel, das selbst im Vereinigten Königreich als wenig bekannt gilt: Die Besetzung der Kanalinseln durch die Deutschen im 2. Weltkrieg.
Hierhin flüchtet die Jüdin Hedwig Bercu 1938 aus Wien und kommt bei ihrem guten Freund Anton Weber unter, der auf Jersey als Bäcker arbeitet. Als die Deutschen 1940 die Insel besetzen, müssen sich alle Juden registrieren lassen, wobei die örtlichen Behörden eine diensteifrige Rolle und den Deutschen in die Hände spielen. Trotz heller Haare, guter Geschichte und ungeklärtem Status bekommt Hedy "zur Sicherheit" ein rotes J in den Pass gestempelt. Doch die Besatzungsmacht braucht dringend Übersetzer und drückt deshalb ein Auge zu, als Hedy - gleichermaßen von Selbstverachtung wie Überlebenswillen erfüllt - für die Stelle vorspricht.
Während auf der Insel alles Lebensnotwendige knapp wird, verliebt sich ausgerechnet einer der Offiziere in die junge Frau, die die Gefühle schließlich erwidert. Ihre heimliche Liebe erhellt das Dunkel, aber auch für Hedy kommt der Tag des Untertauchens. Ihr Überleben hängt nun allein von Kurt und der Insulanerin Dorothea ab, die wegen der Heirat mit Anton unter den Einheimischen als "Jerrybag" verschrien ist...

Dies ist eine der Geschichten, die vermutlich nicht in den Kanon der Weltliteratur eingehen, vielleicht aber in den der Lieblingsbücher. Geschichten, die man in einem Rutsch liest und die beeindrucken, weil sie authentisch und persönlich sind. Jenny Lecoat hat viel Herzblut und Recherchearbeit in diesen Roman gesteckt, hat die Inselbewohner und ihr Erinnerungsarchiv befragt und auf diese Weise so viel mehr als die historischen Fakten zwischen die Zeilen gebannt, fernab von Schwarzweißmalerei und einseitigen Schuldzuweisungen.
Die Autorin erzählt direkt, packend und chronologisch, einer raffinierten Dramaturgie bedarf es nicht. Die Protagonisten sind vielschichtig und glaubwürdig, obwohl Jenny Lecoat hier viel fiktionalisieren musste. Die Dialoge geraten mitunter etwas holprig, doch darüber kann man leicht hinweglesen, während man dem Ende entgegenfiebert. Die wahre Geschichte endete erste vor kurzem: Dorothea Weber, geborene Le Brocq, wurde in Yad Vashem zur Gerechten unter den Völkern ernannt.